Quo Vadis
niedergeschmettert und erschöpft gewesen, daß selbst der angeborene Jähzorn ihn verlassen hatte. So aber stieß er ihn nur beiseite und wollte weitereilen; doch jener hielt ihn fast gewaltsam zurück.
„Wie steht es um das ‚göttliche‘ Kind?“ fragte Petronius.
Doch dieses gewaltsame Festhalten hatte Vinicius’ Zorn wieder geschürt.
„Der Hades soll es samt dem ganzen Palaste verschlingen!“ sprach er knirschend.
„Still, Unseliger!“ erwiderte Petronius und fügte bei, indem er sich vorsichtig umsah:
„Wenn du etwas über Lygia hören willst, so komme fort, ich sage hier kein Wort. Komm mit mir; ich teile dir meine Gedanken in der Sänfte mit.“
Er legte den Arm um den jungen Tribun und führte ihn eilig aus dem Bereiche des Palastes. Das war sein Hauptzweck, denn Nachrichten hatte er gar nicht mitzuteilen. Als kluger, findiger Mann, der trotz der gestern zur Schau getragenen Entrüstung Zuneigung zu Vinicius hatte und sich für das Geschehene verantwortlich fühlte, war er bereits ans Werk gegangen. Sobald sie in der Sänfte Platz genommen hatten, begann er:
„Ich habe meine Sklaven beauftragt, jedes Tor zu bewachen. Zudem gab ich ihnen eine genaue Beschreibung des Mädchens sowie des Riesen, der sie entführt hat. Nun höre: Vielleicht wollen Aulus und Pomponia auf einem ihrer Landgüter Lygia verbergen; in diesem Falle werden wir die Richtung der Flucht erfahren. Wenn meine Sklaven sie an keinem Tore erblicken, so folgt daraus, daß sie noch in Rom ist, so daß wir heute noch mit der Nachforschung beginnen können.“
„Aulus kennt ihr Versteck nicht“, antwortete Vinicius.
„Bist du dessen gewiß?“
„Ich sah Pomponia. Auch sie sucht Lygia.“
„Sie konnte gestern die Stadt unmöglich verlassen, weil die Tore bei Nacht verschlossen sind. Zwei meiner Leute stehen jetzt an jedem Tor. Einer davon muß Lygia mit dem Riesen folgen, der andere sogleich zurückkehren und mir Mitteilung geben. Ist sie jedoch in der Stadt, so werden wir den Ort sicherlich ausfindig machen; denn jener Lygier ist bei seiner Größe und mit seinen breiten Schultern leicht zu erkennen. Sei froh, daß nicht Nero sie raubte; ich kann dir versichern, daß er es nicht war, denn vor mir gibt es auf dem Palatin keine Geheimnisse.“
Mit vor Erregung stockender Stimme erzählte nun Vinicius, was er von Acte gehört hatte, welch neue Gefahren Lygia bedrohten und es notwendig machten, sie im Falle der Entdeckung sorgfältig vor Poppäa zu verbergen. Dann machte er Petronius seines Rates wegen heftige Vorwürfe. Alles hätte einen anderen Gang genommen ohne seine Einmischung. Lygia wäre bei Aulus geblieben, er, Vinicius, hätte sie jeden Tag sehen können und wäre jetzt glücklicher als der Cäsar. Je länger er sprach, desto erregter wurde er, bis schließlich Tränen des Zornes und des Kummers auf seine Wangen tropften.
Petronius, der nie geglaubt hatte, sein Neffe könne in einem solchen Grade lieben, sprach beim Anblick dieser Tränen verwundert zu sich selber:
„O mächtige Herrin von Kypros! Du allein beherrschst Götter und Menschen!“
XII
Als die beiden vor Pretonius’ Wohnung ausstiegen, berichtete der Atriensis, daß von den Sklaven, die die Stadttore überwachen sollten, noch keiner zurückgekehrt sei. Der Atriensis hatte ihnen Nahrung und den erneuten Befehl gebracht, unter Strafe der Auspeitschung sorgfältig jeden die Stadt Verlassenden zu beobachten.
„Du siehst“, sagte Petronius, „sie sind noch in der Stadt, ohne Zweifel. In diesem Falle werden sie zu finden sein. Laß auch deine Leute Wache stehen, und zwar die, die mit der Sänfte waren und deshalb Lygia leicht erkennen werden.“
„Ich ließ sie aufs Land in das Ergastulum bringen“, sagte Vinicius, „will aber den Befehl sogleich widerrufen und sie an die Tore senden.“
Damit schrieb er auf ein Wachstäfelchen einige Worte und übergab es Petronius, der sogleich einen Boten nach Vinicius’ Hause abgehen ließ. Sie traten darauf in den inneren Portikus und ließen sich plaudernd auf einer Marmorbank nieder. Die goldhaarige Eunike und Iras schoben Bronzeschemel unter ihre Füße und füllten die Becher mit Wein aus enghalsigen, prachtvollen Krügen aus Volaterrae und Caesina.
„Kennt einer deiner Sklaven jenen riesenhaften Lygier?“ fragte Petronius.
„Atacinus und Gulo kannten ihn, der eine fiel gestern bei der Sänfte, den andern erschlug ich.“
„Es tut mir leid um ihn“, erwiderte Petronius; „er hat uns beide in
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