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Quo Vadis

Quo Vadis

Titel: Quo Vadis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk Sienkiewicz
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denn nicht an das Haus Aulus’ und Pomponias, worin Lygia erzogen war? Fiel es ihm denn niemals ein, daß es Frauen geben könne, die nicht wie Nigidia, Calvia Crispinilla, Poppäa und andere waren, die in des Cäsars Palaste verkehrten? Sah er denn nicht auf den ersten Blick, daß Lygia ein reines Herz habe, daß ihr der Tod lieber sei als Schande? Woher konnte er wissen, ob die Gottheiten, die Lygia verehrte, nicht keuscher und besser seien als Venus oder Isis, die von den unzüchtigen Frauen Roms angebetet würden? Nein! Lygia habe ihr kein Geständnis gemacht, doch erklärt, sie habe Rettung bei ihm, Vinicius, gesucht und gehofft, er würde ihr die Erlaubnis zur Heimkehr erwirken und sie zu Pomponia zurückführen. Und dabei wäre sie errötet wie ein liebendes, vertrauendes Mädchen. Lygias Herz schlüge für ihn, und er habe sie erschreckt, beleidigt, ihren Abscheu hervorgerufen. Nun möge er mit des Cäsars Soldaten ihr nachforschen; doch wenn Poppäas Kind stürbe, fiele der Verdacht auf Lygia, und ihr Tod wäre unvermeidlich.
    In Vinicius siegte die Rührung allmählich über den Zorn. Die Kunde, Lygia liebe ihn, erschütterte den jungen Mann tief in die Seele hinein. Er erinnerte sich ihrer, wie sie in Aulus’ Garten errötend und glückstrahlend seinen Worten gelauscht hatte. Damals mußte sie zu lieben begonnen haben, und dieser Gedanke erfüllte ihn mit einer Wonne, weit größer als jene, wonach er begehrt hatte. Er dachte, wie er sie nach und nach hätte gewinnen können samt ihrer Liebe zu ihm. Sie würde seine Tür bekränzt, mit Wolfsfett gesalbt und dann am Herde auf dem Lämmervlies als sein Weib gesessen haben. Aus ihrem Munde hätte er das altrömische Gelöbnis vernommen: Wo du bist, Cajus, da bin ich, Caja. Und für immer wäre sie sein gewesen. Warum handelte er nicht so? Freilich, er hatte so tun wollen. Doch nun war sie fort, vielleicht unauffindbar; und wenn er sie fände, so wäre es möglicherweise ihr Tod, oder wenn nicht dies, so würden weder sie noch ihre Pflegeeltern ihn wieder aufnehmen. Bei diesem Gedanken stieg ihm der Zorn wieder zu Kopfe, doch seine Erbitterung galt nun nicht mehr Aulus oder Lygia, sondern Petronius. Petronius war an allem schuld. Ohne sein Eingreifen hätte Lygia nicht zu entfliehen brauchen, sie wäre jetzt mit ihm vermählt, und keine Gefahren würden ihr geliebtes Haupt bedrohen. Doch nun war alles vorbei, und es war zu spät, das zu ändern, was sich nicht ändern ließ.
    „Zu spät.“ Ein Abgrund gähnte vor seinen Augen. Er wußte nicht, was anfangen, wohin sich begeben. Acte wiederholte wie ein Echo: „Zu spät“, Worte, die aus fremdem Munde wie ein Todesurteil klangen. Nur das eine erkannte er, Lygia müsse gefunden werden, oder es geschehe ein Unglück.
    Mechanisch hüllte er sich in die Toga und wollte sich eben entfernen, ohne sich zu verabschieden, als plötzlich der Vorhang zwischen Eingang und Atrium beiseite geschoben wurde und die Gestalt Pomponia Graecinas vor ihm erschien.
    Offenbar hatte sie von Lygias Verschwinden gehört und kam zu Acte, um mehr zu erfahren, in der Annahme, daß es ihr leichterfallen würde als Aulus, Acte zu sprechen.
    Beim Anblick des Vinicius wandte sie ihr bleiches, zartes Antlitz ihm zu und sagte nach einer Pause: „Gott vergebe dir das Unrecht, Marcus, das du uns und Lygia zugefügt hast.“
    Beschämt und schuldbewußt stand er da, ohne zu begreifen, welcher Gott ihm vergeben könnte. Pomponia hatte alle Ursache, von Rache statt von Vergebung zu sprechen.
    Ratlos, von Staunen, Qual und Sorgen übermannt, entfernte er sich.
    Im Hofe und unter der Galerie standen Haufen angsterfüllter Menschen, mitten unter Palastsklaven Ritter und Senatoren, die sich nach dem Befinden der kleinen Augusta erkundigen wollten und zugleich bestrebt waren, ihre Anwesenheit und ängstliche Besorgnis, wenn auch nur den Sklaven, bemerklich zu machen. Die Nachricht von der Erkrankung des „göttlichen“ Kindes hatte sich augenscheinlich sehr schnell verbreitet, denn immer neue Gestalten traten herzu, und große Scharen umringten den Torbogen. Einige der Neuangekommenen überfielen Vinicius, da sie ihn aus dem Palaste treten sahen, mit Fragen. Doch er eilte vorbei, ohne eine Antwort zu geben, bis er beinahe mit Petronius zusammenrannte, der ebenfalls kam, Erkundigungen einzuziehen.
    Der Anblick des Petronius hätte ihn wütend machen und in Neros eigenem Palaste zu einer gesetzwidrigen Tat treiben können, wäre er nicht derart

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