Quo Vadis
der vor ihm stand, konnte keines Weibes Geliebter sein. In dieser wunderlichen Figur war Gemeines mit Lächerlichem gepaart. Er war noch nicht alt; aber in seinem schmutzigen Bart, in seinen krausen Locken erschien schon hier und da ein graues Haar. Er hatte einen eingefallenen Unterleib und infolgedessen eine vorgebeugte Haltung, so daß er auf den ersten Blick bucklig erschien. Über diesem scheinbaren Buckel erhob sich der Kopf mit dem Gesichte eines Affen und auch eines Fuchses. Sein Blick war stechend. Die gelbliche Haut des Gesichts war mit Pickeln bedeckt, besonders die Nase, die noch dazu durch ihre Röte eine große Liebe für die Flasche verriet. Seine nachlässige Erscheinung, vervollständigt durch eine dunkle Tunika aus Ziegenwolle und einen Mantel aus gleichem Stoff mit Löchern darin, zeigte wirkliche oder erheuchelte Armut. Bei seinem Anblick kam Petronius Homers Thersites in Erinnerung. Daher sagte er, auf Chilons Verbeugung mit einem Winke der Hand antwortend:
„Sei gegrüßt, göttlicher Thersites, wie geht es mit den Beulen, die Ulysses dir bei Troja schlug, und was tut er selber auf den Gefilden des Elysiums?“
„Edler Herr“, antwortete Chilon Chilonides, „Ulysses, der Weiseste der Toten, sendet durch mich dem Petronius, dem Weisesten der Lebendigen, seinen Gruß mit der Bitte, meine Beulen mit einem neuen Mantel zu bedecken.“
„Bei Hekate Triformis“, rief Petronius aus, „die Antwort verdient einen neuen Mantel.“
Die weitere Unterhaltung wurde durch den ungeduldigen Vinicius unterbrochen, der sofort fragte:
„Weißt du schon genau, um was es geht?“
„Wenn man in zwei vornehmen Häusern von nichts anderem mehr spricht und wenn halb Rom die Neuigkeit wiederholt, ist es nicht schwer, davon zu wissen“, antwortete Chilon. „Die vorletzte Nacht wurde ein Mädchen namens Lygia, eigentlich Callina, erzogen im Hause des Aulus, gewaltsam entführt. Deine Sklaven, o Herr, sollten sie vom Hause des Cäsars zu deiner Villa bringen, und ich unternehme es, sie in der Stadt zu finden, oder, wenn sie die Stadt verlassen hat, was kaum möglich ist, dir anzuzeigen, ob sie geflohen ist und wo sie sich verborgen hält.“
„Das ist gut“, sagte Vinicius, den die Genauigkeit der Antwort befriedigt hatte. „Mit welchen Mitteln willst du das durchführen?“
Chilon lächelte schlau.
„Du hast die Mittel, Herr, und ich den Geist.“
Auch Petronius lächelte; denn er war mit seinem Gaste vollkommen zufrieden.
„Dieser Mann kann das Mädchen finden“, dachte er. Indes runzelte Vinicius seine zusammengerückten Brauen und sagte:
„Elender, falls du mich um des Gewinnes willen betrügst, lasse ich dich mit Knütteln totschlagen.“
„Ich bin ein Philosoph, Herr, und ein Philosoph kann nach Gewinn nicht lüstern sein, besonders nicht nach solchem, den du eben großmütig angeboten.“
„Oh, du bist ein Philosoph?“ fragte Pebronius. „Eunike sagte mir, du wärest ein Arzt und Weissager. Woher kennst du Eunike?“
„Sie kam zu mir um Hilfe; denn mein Ruhm drang auch zu ihren Ohren.“
„Was für Hilfe brauchte sie?“
„Hilfe in der Liebe, Herr. Sie wollte von unerwiderter Liebe geheilt werden.“
„Heiltest du sie?“
„Noch mehr, Herr. Ich gab ihr ein Amulett, das Gegenseitigkeit der Liebe sichert. In Paphos auf der Insel Cypern befindet sich ein Tempel, o Herr, in dem ein Gürtel der Venus bewahrt wird. Ich gab ihr zwei Fäden daraus, in einer Mandelschale eingeschlossen.“
„Und brachtest sie dahin, dich gut dafür zu bezahlen?“
„Für Gegenliebe kann man nie genug bezahlen, und ich, dem zwei Finger der rechten Hand fehlen, sammle gerade Geld, um mir einen als Schreiber geeigneten Sklaven zu kaufen, der meine Gedanken zu Papier bringt und meine Weisheit dem nachfolgenden Geschlecht überliefert.“
„Aus welcher Schule bist du, göttlicher Weiser?“
„Ich bin ein Zyniker, Herr, weil ich einen zerrissenen Mantel trage; ich bin ein Stoiker, weil ich die Armut geduldig hinnehme; ich bin ein Peripatetiker, denn da ich keine Sänfte mein eigen nenne, gehe ich zu Fuße von einer Weinschenke zur anderen und lehre unterwegs jene, dir mir einen Krug Wein zu zahlen versprechen.“
„Und beim Wein fließt dann deine Rede, und du wirst zum Rhetor?“
„Heraklit hat gesagt: ‚Alles fließt‘, und kannst du leugnen, Herr, daß der Wein eine Flüssigkeit ist?“
„Und Heraklit sagte auch, das Feuer sei eine Gottheit, die Gottheit erscheint darum im feurigen Rot
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