Quo Vadis
deiner Nase.“
„Aber der göttliche Diogenes von Apollonia lehrte, daß die Luft das Wesen der Dinge ist; je wärmer diese, desto vollkommener die von ihr erzeugten Geschöpfe. Aus der wärmsten nun stammen die Seelen der Weisen. Wenn die Herbste kühl sind, muß daher ein echter Weiser seine Seele mit Wein erwärmen. Und wolltest du es hindern, daß ein Krug von diesem Stoff, wie ihn Capua und Telesia erzeugen, alle Gebeine eines hinfälligen menschlichen Körpers erwärmt?“
„Chilon Chilonides, wo ist deine Heimat?“
„Am Pontus Euxinus, ich komme von Mesembria.“
„O Chilon, du bist groß!“
„Und verkannt“, sagte der Weise nachdenklich.
Aber Vinicius überkam die Ungeduld aufs neue. Angesichts der Hoffnung, die ihm gekommen war, wünschte er, daß Chilon sofort seine Arbeit beginne; daher erschien ihm das Gespräch als eine bloße Zeitvergeudung, und er war ärgerlich über Petronius.
„Wann willst du die Nachforschung beginnen?“ fragte er, sich zum Griechen wendend.
„Ich habe sie bereits begonnen“, antwortete Chilon.
„Was hast du getan?“
„Seitdem ich hier bin und deine leutseligen Fragen beantworte, forsche ich. Hab nur Vertrauen, edler Tribun, und wisse, ich könnte einen deiner Sandalenriemen, wenn du ihn verlieren solltest, oder den, der ihn auf der Straße aufhob, finden.“
„Bist du schon zu ähnlichen Diensten verwendet worden?“ fragte Petronius.
Der Grieche schlug die Augen auf.
„Heutzutage werden Tugend und Wissenschaft zu gering bewertet, als daß ein Philosoph nicht gezwungen wäre, zu seinem Lebensunterhalt andere Mittel zu suchen.“
„Und was sind deine Mittel?“
„Alles zu wissen und denen mit Nachrichten zu dienen, die sie benötigen.“
„Und dich dafür bezahlen zu lassen?“
„Ach, Herr, ich muß mir einen Schreiber kaufen; geschieht es nicht, so geht meine Weisheit mit mir zugrunde.“
„Wenn du noch nicht soviel zusammengebracht hast, dir einen ordentlichen Mantel zu kaufen, so können deine Dienste nicht sehr rühmenswert sein.“
„Die Bescheidenheit hindert mich, sie zu rühmen. Bedenke auch, Herr, daß es heutzutage keine solchen Wohltäter mehr gibt, wie sie früher zahlreich waren; für sie war es der gleiche Genuß, ein Verdienst überreich mit Gold zu belohnen, wie eine Auster von Puteoli hinabzuschlucken. Nein, meine Leistungen sind nicht unbedeutend; gering aber ist die Dankbarkeit der Menschen. Wenn zuweilen ein wertvoller Sklave entrinnt, wer wird ihn finden, wenn nicht der einzige Sohn meines Vaters? Wenn sich an Mauern Schmähschriften gegen die göttliche Poppäa finden, wer entdeckt ihre Verfasser? Wer wird bei den Buchhändlern Verse gegen den Cäsar finden? Wer hinterbringt, was in den Häusern der Ritter und Senatoren geredet wird? Wer wird Briefe befördern, die die Schreiber einem Sklaven nicht anvertrauen mögen? Wer die Neuigkeiten an den Türen der Barbiere erlauschen? Für wen haben Weinschenken und Bäckerläden kein Geheimnis? Wem vertrauen die Sklaven? Wer kann jedes Haus vom Atrium bis zum Garten durchschauen? Wer kennt jede Straße, jede Allee, jedes Versteck? Wer weiß, was in Bädern, im Zirkus, auf dem Markte, in Fechtschulen, in den Hütten der Sklavenhändler und selbst in der Arena gesprochen wird?“
„Bei den Göttern, edler Weiser, genug“, rief Petronius. „Wir können sie nicht mehr fassen, deine Dienste, deine Tugenden, deine Weisheit, deine Beredsamkeit. Genug! Wir wünschten zu wissen, wer du bist, und wissen es jetzt.“
Aber Vinicius freute sich, denn er dachte, daß dieser Mann, wenn er erst einmal wie ein Hund auf die Spur gesetzt wäre, nicht stillhalten würde, bis er das Versteck ausgespürt habe.
„Gut“, sagte er, „brauchst du keine Kennzeichen?“
„Ich brauche Waffen.“
„Von welcher Art?“ fragte Vinicius erstaunt.
Der Grieche streckte seine Hand aus, mit der anderen machte er eine Bewegung, als wolle er Geld zählen.
„So sind die Zeiten, Herr“, sagte er seufzend.
„Du willst also der Esel sein“, sprach Petronius, „der die Festung mit einem Sack voll Gold gewinnt.“
„Ich bin nur ein armer Philosoph“, antwortete Chilon demütig, „ihr habt das Gold.“
Vinicius schleuderte ihm seine Börse zu, die der Grieche in der Luft auffing, obwohl an seiner rechten Hand zwei Finger fehlten.
Darauf warf er den Kopf zurück und sagte:
„Ich weiß mehr, als du denkst. Ich bin nicht mit leeren Händen gekommen. Ich weiß, daß nicht Aulus das Mädchen
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