Quo Vadis
dem Ostrianum gehen und bin entschlossen, das Mädchen heute noch oder morgen aus ihrer Wohnung zu entführen. Mögen die Götter Dir jede Gunst erweisen. Gehab Dich wohl, carissime. Die Freude läßt mich nicht weiterschreiben.“
Das Rohr weglegend, begann er, schnellen Schrittes das Zimmer zu messen. Es war nicht bloß Freude, was ihn durchströmte, es war ein Fieber. Morgen also würde Lygia unter seinem Dache wohnen! Er wußte noch nicht recht, wie er sie behandeln sollte; das jedoch fühlte er, daß, wenn sie ihn lieben wollte, er ihr Sklave sein könnte. Er gedachte der Versicherung Actes, daß Lygia ihn liebte. Es würde also bloß der Überwindung einer gewissen mädchenhaften Zurückhaltung und der Beobachtung gewisser Zeremonien bedürfen, die die christliche Lehre wahrscheinlich forderte. Doch wenn sie einmal unter seinem Dache wäre, würde Lygia der Überredung oder auch der Gewalt weichen; sie würde sich sagen: „Es ist nun einmal so“ und dann seiner Liebe sich ergeben.
Chilon erschien und unterbrach diese angenehmen Gedanken.
„Es fiel mir etwas ein, Herr. Haben die Christen nicht Kennzeichen, Parolen, ohne die niemand im Ostrianum Zutritt findet? Ich weiß, daß sie im Gebetshause es so halten, und bekomme diese Parolen von Euricius. Laß mich darum ihn aufsuchen, Herr, um die nötigen Erkennungszeichen zu lernen.“
„Gut, mein Weiser“, antwortete Vinicius. „Du sprichst wie ein vorsichtiger Mann und verdienst Lob. Geh denn zu Euricius oder wohin es dir beliebt. Zur Sicherheit jedoch läst du auf diesem Tisch den Beutel liegen, den ich dir gab.“
Chilon, der sich nie gern von gemünztem Metall trennte, wand sich erst; endlich gehorchte er doch und ging. Von den Carinae bis zum Zirkus, in dessen Nähe der kleine Laden des Euricius sich befand, war kein weiter Weg, so daß er lange vor Nachtanbruch wieder zurückkam.
„Ich habe die Zeichen, Herr. Ohne sie würden wir keinen Zutritt finden. Ich habe mich sorgfältig nach dem Wege erkundigt. Ich sagte Euricius, ich brauche die Zeichen nur meiner Freunde wegen, da ich nicht hingehen würde, weil der Weg meinem Alter zu beschwerlich sei. Überdies würde ich morgen den großen Apostel ohnehin sehen und die schönsten Stücke seiner Predigt hören.“
„Wie? Du willst nicht mitgehen? Du mußt!“ sagte Vinicius.
„Ich weiß, daß ich muß. Doch ich will verkleidet hingehen und rate dir, dasselbe zu tun, sonst verscheuchen wir die Vögel.“
Sie begannen sich fertigzumachen, denn bereits lag die Finsternis über der Ewigen Stadt. Sie hüllten sich in Mäntel und Kappen und griffen nach Laternen. Vinicius bewaffnete sich und seine Begleiter mit kurzen, krummen Dolchen. Chilon zog überdies eine Perücke über den Kopf, die er sich bei Euricius geholt hatte. So ausgerüstet verließen sie das Haus, um das Nomentanische Tor zu erreichen, bevor es geschlossen wurde.
XX
Sie gingen durch den Vicus Patricius, den Viminal entlang, dem ehemaligen Viminalischen Tore zu, nahe der Ebene, auf der später Diokletian seine prächtigen Bäder erbaute. Ihr Weg führte an den Überresten der von Servius Tullius errichteten Mauerwerke vorbei; er wurde immer öder. Sie erreichten endlich die Via Nomentana, wandten sich dann links gegen die Via Salaria, bewegten sich dort zwischen Sandgruben und stießen zuweilen auch auf Begräbnisstätten.
Inzwischen war es völlig dunkel geworden. Da der Mond noch nicht aufgegangen war, fanden sie schwer den rechten Weg; doch die Christen wiesen ihnen bald die Richtung, wie Chilon erwartet hatte.
Rechts und links und vor sich konnten sie dunkle Gestalten bemerken, die vorsichtig ihren Weg durch sandige Hohlwege nahmen. Einige dieser Leute trugen Laternen, bedeckten sie jedoch soviel wie möglich mit ihren Mänteln; andere, die die Straße besser kannten, schritten im Dunkeln. Das Soldatenauge des Vinicius unterschied an den Bewegungen die jüngeren Männer von den älteren, die an Stöcken gingen, und von den vorsorglich in lange Mäntel gehüllten Frauen. Die Straßenpolizei sowie die die Stadt verlassenden Dorfbewohner hielten diese nächtlichen Wanderer offenbar für Arbeiter, die nach den Sandgruben gingen, oder für Gräberbesucher, die manchmal zur Nachtzeit Feierlichkeiten für die Ihrigen abhielten. Je weiter der junge Patrizier mit seinem Gefolge kam, desto mehr wuchs das Gedränge der Menschen. Einige von ihnen sangen mit leiser Stimme, wie es Vinicius schien, wehmütige Weisen. Manchmal drang ein
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