Quo Vadis
Schicksal eingegriffen, als daß sie ihn hätte vergessen können. Ganze Tage lang hatte sie an ihn gedacht und zu Gott gebetet, daß sie einst an ihm Böses mit Gutem, Verfolgung mit Barmherzigkeit vergelten, ihn für Christus gewinnen, seine Seele retten dürfe. Und jetzt glaubte sie ihr Gebet erhört, die Stunde gekommen.
Sie näherte sich darum Crispus und sagte, wie aus einer Eingebung heraus:
„Laß ihn hier unter uns bleiben, Crispus. Wir wollen ihm zur Seite stehen, bis Gott ihm die Gesundheit wieder schenkt.“
Der alte Presbyter liebte es, überall Gottes Eingebung zu erkennen, und dachte beim Anblick des begeisterten Mädchens, vielleicht rede eine höhere Macht aus ihr. Ehrfürchtig beugte er sein greises Haupt und sagte:
„Es geschehe, wie du sagst.“
Auf Vinicius, der die Augen keinen Augenblick von ihr abgewendet hatte, machte Crispus’ Gehorsam tiefen Eindruck. Lygia kam ihm unter den Christen als eine Art Sibylle oder Priesterin vor, der man Gehorsam und Ehrerbietung erwies. Auch er empfand nur Ehrfurcht vor ihr. Zur Liebe gesellte sich eine Art Scheu, die ihm seine Liebe beinahe als Anmaßung erscheinen ließ. Doch konnte er sich nicht mit dem Gedanken vertraut machen, daß sein Verhältnis zu ihr ein anderes geworden sei, daß nicht sie von ihm, sondern er von ihr abhänge, daß er krank, gebrochen hier liege und aufgehört habe, die angreifende, siegende Macht zu sein, ja daß er wie ein hilfloses Kind auf ihre Pflege angewiesen sei. Seiner stolzen Natur wäre ein solches Verhältnis zu jeder anderen Person demütigend vorgekommen; ihr aber war er dankbar als seiner Königin. Solche Gefühle waren unerhört bei ihm, es waren Gefühle, deren er den Tag zuvor nicht fähig gewesen wäre und die ihn auch jetzt in Erstaunen gesetzt hätten, wäre er sich ihrer so recht bewußt geworden. Doch er dachte augenblicklich nicht daran, über die Umwandlung nachzusinnen; sie schien ihm ganz natürlich. Er war glücklich, daß er bleiben durfte.
Er wollte ihr dankbar sein und empfand etwas, was er nicht zu nennen vermochte; es war einfach Unterwürfigkeit. Sein voriger Zorn hatte ihn erschöpft, daß er bloß mit den Augen danken konnte. Diese aber leuchteten vor Freude darüber, daß er in ihrer Nähe weilen und sie sehen durfte, morgen, übermorgen, vielleicht für lange Zeit. Zu seiner Wonne gesellte sich aber bald eine Furcht, zu verlieren, was er schon gewonnen glaubte. So groß war sie, daß, als Lygia ihm abermals zu trinken gab und der Wunsch in ihm aufstieg, ihre Hand zu fassen, er sich nicht getraute. Er getraute sich nicht! Er, jener Vinicius, der sie bei dem Gelage des Cäsars trotz ihres Widerstandes geküßt hatte, er, der nach ihrer Flucht geschworen, sie bei den Haaren ins Cubiculum zu schleifen oder sie peitschen zu lassen!
XXIV
Aber Vinicius fürchtete auch, daß äußere Gewalt seine Freude zerstören könnte. Chilon konnte dem Stadtpräfekten oder seinen Freigelassenen sein Verschwinden anzeigen, und in diesem Falle war ein Angriff gegen dieses Haus durch die Stadtwache sehr leicht möglich. Es fiel ihm zwar ein, daß er dann Lygia ergreifen und mit sich nehmen könnte, doch fühlte er zugleich, daß er zu einer solchen Handlungsweise nicht mehr fähig sei. Er war zwar hart, gewalttätig und skrupellos, wenn es not tat, auch unerbittlich; aber er war kein Tigellinus oder Nero. Das militärische Leben hatte in ihm ein gewisses Gefühl für Gerechtigkeit und Religion und soviel Gewissen zurückgelassen, um eine solche Tat als gemein zu erkennen. In einem Ausbruch von Ärger und im Vollbesitz seiner Kraft wäre er vielleicht hierzu fähig gewesen; jetzt aber war er krank und weich gestimmt. Er fürchtete nur, es möchte sich jemand zwischen ihn und Lygia stellen.
Staunend gewahrte er, daß von dem Augenblick an, in dem Lygia seine Partei ergriff, weder sie noch Crispus irgendeine Zusicherung seines Schutzes verlangten, gerade als ob sie für den Fall der Not der Hilfe einer übernatürlichen Macht sicher seien. Vinicius, in dessen Geist seit der Rede des Apostels im Ostrianum die Begriffe von Möglichem und Unmöglichem in ziemliche Verwirrung geraten waren, spürte selbst einen Hang in sich, an eine solche Hilfe zu glauben. Sobald er aber die Dinge nüchtern betrachtete, erinnerte er sich an den Griechen, und er verlangte wieder nach Chilon.
Crispus stimmte bei und beschloß, Ursus zu senden. Vinicius, der vor seinem Besuch im Ostrianum mehrmals, aber vergeblich, Sklaven zu
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