Quo Vadis
bei dem Vorfall mit Lygia geschehen sei, und fragte im Tone eines strengen Richters weiter:
„Wie habt ihr Kroton behandelt, sprich, verbirg mir nichts!“
Ursus seufzte wieder.
„Vinicius wird es dir erzählen.“
„Daß du ihn mit einem Messer erstochen oder mit einem Knüttel erschlagen hast.“
„Ich hatte keine Waffen.“
Der Grieche entsetzte sich über die übermenschliche Stärke des Barbaren.
„Möge Pluto – ich wollte sagen, möge Christus dir verzeihen!“
Sie gingen eine Zeitlang schweigend weiter, dann fuhr Chilon fort:
„Ich will dich nicht verraten, aber gib acht auf die Vigilen!“
„Ich fürchte Christus, nicht die Vigilen.“
„Das ist gut. Es gibt kein schrecklicheres Verbrechen als Mord. Ich werde für dich beten; aber ich weiß nicht, ob mein Gebet wirksam sein wird, wenn du nicht das Gelübde tust, nie mehr an eines Menschen Leben auch nur mit dem Finger zu rühren.“
„Ich habe ihn nicht absichtlich getötet“, antwortete Ursus.
Aber Chilon, der sich für jeden Fall sichern wollte, hörte nicht auf, den Mord zu verdammen und Ursus zu dem Gelübde zu drängen. Er forschte auch nach Vinicius; aber der Lygier beantwortete seine Fragen unwillig und wiederholte, daß Chilon von Vinicius selber alles Nötige erfahren würde. Während dieses Gespräches kamen sie ans Ziel ihres Weges. Chilons Herz begann wieder unruhig zu schlagen. In seiner Angst schien es ihm, als sehe Ursus mit einem prüfenden und drohenden Blick ihn an.
„Es ist wenig tröstlich für mich, wenn er mich unabsichtlich tötet“, sagte er sich, „lieber wäre es mir, es träfe ihn eine Gliederlähmung und mit ihm alle Lygier – möchtest du das bewirken, o Zeus, wenn du’s kannst.“
Dabei hüllte er sich tiefer in seinen Mantel, um, wie er vorgab, sich vor Kälte zu schützen. Als sie den ersten Hof durchschritten hatten und sich im Korridor befanden, der zum Garten des kleinen Hauses führte, blieb Chilon plötzlich stehen und sagte:
„Laß mich Atem schöpfen, ich kann sonst mit Vinicius nicht sprechen und ihm keine Ratschläge für seine Genesung erteilen.“
Obwohl er sich sagte, daß hier keine Gefahr drohe, so zitterten doch seine Beine bei dem Gedanken, vor jenen geheimnisvollen Leuten zu erscheinen, die er im Ostrianum gesehen hatte.
Da ertönte vom Hause her eine Hymne.
„Was ist das?“ fragte Chilon.
„Du nennst dich einen Christen und weißt nicht, daß es bei uns Sitte ist, nach jeder Mahlzeit unseren Erlöser durch Gesang zu verehren“, antwortete Ursus. „Miriam und ihr Sohn müssen zurück sein, und vielleicht ist der Apostel bei ihnen; denn er besucht die Witwe und Crispus jeden Tag.“
„Führe mich gleich zu Vinicius!“
„Vinicius ist mit ihnen in einem Zimmer; es ist der einzige größere Raum, die übrigen kleineren benutzen wir zum Schlafen. Komm herein, du kannst hier ausruhen.“
Sie traten ein. Es war dunkel im Zimmer; der Abend war trübe und kalt, und die wenigen Lichter vertrieben die Finsternis nicht vollständig. Vinicius ahnte mehr Chilons Ankunft, als daß er ihn erkannt hätte. Dieser ging sofort auf die Ecke zu, in der Vinicius auf einem Bett lag, als ob er sich in dessen Nähe sicherer fühlte.
„O Herr, warum hörtest du nicht auf meinen Rat?“ rief er händeringend aus.
„Still!“ sagte Vinicius. „Höre!“
Dann blickte er scharf in Chilons Augen und sprach langsam und nachdrucksvoll, wie wenn der Grieche jedes Wort als Befehl auffassen und für immer im Gedächtnis behalten sollte:
„Kroton warf sich auf mich, um mich zu ermorden und auszurauben, verstehst du mich? Ich tötete ihn, und diese Leute verbanden mir die Wunden, die ich im Kampf davongetragen habe.“
Chilon verstand sofort, daß Vinicius zugunsten der Christen so sprach und auch andere in diesem Sinne unterrichtet wissen wollte. Dies las er auch auf seinem Gesicht. Ohne also Zweifel oder Erstaunen zu äußern, erhob er seine Augen und rief aus:
„Der Treubrüchige! Aber ich warnte dich, Herr, ihm zu trauen; meine Worte prallten jedoch an deinem Kopfe ab wie Erbsen, die an die Wand geworfen werden. Keine Qual des Hades sei für ihn groß genug! Wer nicht ehrlich ist, muß ein Schurke sein; und was ist für einen solchen schwerer, als ehrlich zu werden? Über seinen Wohltäter herzufallen, solch großmütigen Gebieter – o Götter!“
Hier fiel ihm ein, daß er sich dem Ursus unterwegs als Christ ausgegeben hatte, und er hielt inne.
„Hätte ich nicht die Sica
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