Rabenbrüder
gegeneinander aufzuhetzen. Sollte der jähzornige Vater von einem angeblichen Ehebruch seiner Frau etwas erfahren, würde er sie be-stimmt in die Wüste schicken, während Paul mit Abkapselung und Abscheu reagieren würde.
Als Achims Vater plötzlich starb, erhoffte sich der hochverschuldete Restaurantbesitzer finanzielle Vorteile und bedrängte Achim, endlich neues Kapital aufzutreiben. Um mehr Druck auszuüben, drohte er schon bald damit, Paul über den wahren Sachverhalt aufzuklären. Heiko Sommer habe ihn regelrecht erpreßt und einmal sogar geschlagen. Inzwischen hielt Achim seinen früheren Freund für einen wahren Teufel, den er zur Hölle wünschte. Nur zur Verteidigung hätte er Pauls Elektroschocker ausgeliehen, denn der Kerl sei bärenstark gewesen; es sei wirklich nicht geplant gewesen, ihn für immer mundtot zu machen.
Als Achim mit seiner langen Beichte fertig war, machte er fast einen erleichterten Eindruck. »Nun weißt du es also. Sag mir jetzt bitte genauso ehrlich, mit welcher Strafe ich rechnen muß.«
Diese Frage gab Paul immerhin die Möglichkeit, seine Verstörung durch sachliche Erwägungen zu überspielen. Das Strafmaß stelle auch einen erfahrenen Richter vor eine schwere Entscheidung. Zuerst müsse allerdings in einem Gutachten abgeklärt werden, ob Achim überhaupt zurechnungsfähig sei, denn Schuldfähigkeit sei die Voraussetzung für Strafbarkeit. Falls man ihn aber zur Verantwortung ziehen könne und seine Tat als Totschlag durchgehen ließe, müsse man von mindestens fünf Jahren Haft ausgehen. Das sei die mildeste Strafe, die Paul sich denken könne, denn im Grunde handele es sich im Fall Heiko Sommer um vorsätzliche Tötung. Erschwerend liege der Tatbestand der Heimtücke vor, weil die Wehrlosigkeit des bewußtlosen Opfers ausgenützt wurde. Folglich würde man dem Täter wohl die Höchststrafe aufbrummen. Sollte Achim aber irgend etwas mit dem Tod seiner Mutter zu tun haben, dann bedauerte Paul, daß es keine Hinrichtung mehr gebe.
»Mama hat geschworen, daß ich nie wieder einen Cent von ihr kriege. Dabei hast du doch selbst gesagt, daß sie uns den Pflichtteil nicht verweigern darf.«
Paul ergriff die Flucht und wollte erst mal nach seiner Frau sehen. Annette war unter zwei Daunendecken gekrochen und klapperte trotzdem mit den Zähnen. Wieso Olga hier gewesen sei? wollte Paul wissen und erfuhr, daß seine ehemalige Geliebte Annettes Leben gerettet hatte. »Das Messer liegt noch im Wohnzimmer«, sagte sie. »Olga meint, wir sollen es wegen der Fingerabdrücke nicht anrühren. Es würde mich beruhigen, wenn du bald bei der Polizei anrufst, damit sie ihn wegbringen.«
Sein Bruder gehöre nicht in den Knast, sondern in die Psychiatrie, sagte Paul, und er müsse jetzt wieder hinübergehen.
Am liebsten hätte sich Paul allerdings neben seiner Frau unter den Decken vergraben, denn er fürchtete nichts mehr als das endgültige Geständnis. Längst ahnte er, daß die Wahrheit kaum auszuhalten war. Trotzdem wollte er jetzt keine Verzögerung mehr dulden und sich das Schlußwort seines Bruders anhören.
Achim schien fest entschlossen, sogleich mit seinem Bericht fortzufahren. Nach der Beerdigung brachte er Paul und Annette nach Mannheim, fuhr dann aber zurück ins Mainzer Elternhaus. Kürzlich hatte er von einer Glückszahl geträumt und glaubte nun fest, noch in dieser Nacht den Gewinn seines Lebens machen zu können.
Seine erholungsbedürftige Mutter hatte keine Lust, ihn zu empfangen; sie ließ gerade ein Bad einlaufen und wollte anschließend zu Bett gehen. Über Geld mochte sie schon gar nicht mit ihm reden, obwohl Achim sie immer inständiger anflehte. Ohne ihn noch weiter anzuhören, lief sie geschäftig hin und her, legte ihr Nachthemd auf die Heizung, stellte Tee auf den Nachttisch, schickte ihren Sohn energisch fort und riegelte sich schließlich ein. Sein heftiges Klopfen und Bummern an der Badezimmertür wurde einfach ignoriert. Allmählich steigerte sich Achim in eine solche Erregung, daß er das Türschloß mit einer Münze von außen aufdrehte.
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie sie mich angeschnauzt hat! Noch viel schlimmer als damals im Schlafzimmer. Und als sie einmal in Fahrt kam, hat sie mich auch beschuldigt, Papas Tod verursacht zu haben. Eigentlich konnte sie die Details gar nicht wissen, aber sie hat sich so manches zusammengereimt. Am Ende bin ich ausgerastet. Der Elektroschocker lag immer noch dort, wo ich ihn nach Heikos Tod versteckt hatte. Erst habe
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