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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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viel von sich verriet, weil sie eben ganz anders war als die Drachen.
    Baltibbs Vater war der Hauptpfleger der Wildtiere, ein kleiner Mann, kaum größer als seine Tochter. Wie sie hatte er eine große, schmale Nase und schmale Lippen; das Gesicht wurde von den Augen dominiert, die unter dicht wachsenden Brauen lagen und so hart und schwarz waren wie Marmor.
    Weil ihre Mutter kurz nach ihrer Geburt gestorben war, begleitete Baltibb ihren Vater in Löwengehege und Bärenkäfige, seit sie laufen konnte. Ihre Lieblingstiere waren Hunde, mit denen sie eine innige, fast übersinnliche Zuneigung verband. Lyrian hatte sie Hunde streicheln sehen, die alle außer ihr nur anknurrten.
    »Sie lieben dich, weil du ihnen ähnelst«, hatte Lyrian einmal bemerkt. Baltibb hatte ihn angesehen, grüblerisch und undurchschaubar wie immer, und dann genickt.
    Auch er konnte den lieben langen Tag bei den Gehegen verbringen. Unzählige Male hatte er Baltibb bei der Arbeit begleitet, Tiere gefüttert und Ställe ausgemistet wie ein Diener, und Baltibbs Vater hatte nervös weggesehen. Anfangs drohte er seiner Tochter mit Prügel, aber es war ja Lyrian, der bei ihr und den Tieren sein wollte.
    Er kam so oft, dass Baltibb morgens nach ihm Ausschau hielt. Wenn er auftauchte - mal ein paar Stunden früher, mal ein paar später -, strahlte sie, und obwohl kein Lächeln sie hübsch machen konnte, erschien sie doch mit einem Mal liebenswert.
    Hatte Lyrian von der Arbeit genug, ordnete er an, dass sie ihn auf seinen Spaziergängen begleitete. Dagegen konnte nicht einmal ihr Vater etwas einwenden. Viele Sommertage verbrachten sie auf den Hügeln im Klatschmohn, beobachteten Pferde und Pfauen, Füchse und Rehe. In den Wäldern der Gärten zeigte Lyrian auf Eulen und Schlangen und rief: »In die werde ich mich später verwandeln!«
    Stundenlang saßen sie auf den Felsen beim Wasserfall und malten sich aus, das eine oder andere Tier zu sein. Lyrian hatte die Gabe noch nicht, erst im fünfzehnten Lebensjahr durfte ein Drache das Ritual vollziehen, das ihm fortan erlaubte, die Gestalt von Tieren der Luft, des Landes und des Wassers anzunehmen. Zuerst bekam ein junger Drache drei Gestalten, im darauffolgenden Jahr konnte er je nach Begabung, Ehrgeiz und Rang mehr wählen.
    »Ich glaube, ich werde den Fuchs, die Schwalbe und den Otter nehmen«, verriet er Baltibb. Dass keines der drei Tiere besonders kampftauglich war und dass die Kaiserin alles andere als zufrieden mit seiner Wahl sein würde, änderte nichts an Lyrians Beschluss. »Der Fuchs ist flink und unscheinbar. Die Schwalbe kann am schönsten fliegen. Und der Otter ist der beste Schwimmer. Wenn ich endlich fünfzehn bin, sage ich dir, wie es ist, ein Tier zu sein!«
    Baltibb sah ihn sehnsüchtig an, und er bedauerte sie ein wenig, weil sie sich nie würde verwandeln können. Aber bestimmt hatte sie sich mit ihrem Schicksal abgefunden, so wie die Falken und Hunde mit sich selbst zufrieden waren und nichts Höheres begehrten.
    Sie besprachen auch die Geheimnisse der Drachen. Was wohl beim Ritual der Wintersonnenwende geschah? Ob man eine besondere Verbindung zu seinen gewählten Tieren haben musste, die auf einem Verständnis beruhte, das für Menschen unerreichbar war? Wie kam es dann bloß, dass Lyrian als Einziger je die Gehege der Wildtiere besuchte …
    Ahnungslos besprach er das größte Mysterium seines Volkes mit einer Außenstehenden. Hätte er die Wahrheit damals gekannt, hätte er geschwiegen.
     
    Alles war verändert, seit Lyrian das Ritual kannte. Er war nicht mehr derselbe - die Welt war nicht mehr dieselbe.
    Am Leben zu sein, stieß ihn ab.
    Nachdem er Baltibb mit dem Brief und dem geheimen Auftrag betraut hatte, schlich er durch Korridore und Hallen zurück zu seinen Gemächern. Hier, in den höchsten Türmen des Palasts, residierte nur die Kaiserfamilie. Je nach Rang und Ansehen bewohnten die übrigen Drachen die unteren Stockwerke.
    Der Palast war eine Stadt. Ihre Straßen waren mit Gold, Marmor und Teppichen geschmückt. Bewohner gab es wenige - insgesamt nicht mehr als siebenhundert -, aber dafür huschten ständig Dienerinnen in ihren weißen Leinenkleidern und großen Hauben umher wie Geister. Ja, es war eine Geisterstadt, dachte Lyrian. Der Wind war ihre Stimme, dessen Heulen durch meterdicke Steinwälle schwach klang wie ein Wimmern vom anderen Ende der Welt.
    Lyrian ließ sich fallen. Korpus Schwalbe! , flüsterte er in Gedanken. Im nächsten Augenblick schwebte er durch die

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