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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Flickenkleidern wollte die fröhliche Musik nicht recht passen, und auch das Lachen der Bettelkinder zeugte mehr von Elend als Freude, denn es war voller Zahnlücken.
    Eine Kutsche ratterte durch die Gassen und Mion, Saffa und Kajan wichen schwer atmend zurück.
    »Feiert, Menschen! Feiert!«, schrie der Kutscher. »Mutter Schicksal liebt die, die verstehen! Mutter Schicksal ist nachsichtig mit denen, die fühlen!«
    Ein zweiter Mann saß daneben und spielte eine schnelle Melodie auf seiner Flöte, ein dritter schwenkte einen Schlauch, der an einem Fass hing. Gestalten kamen angelaufen und ließen sich Wein nachfüllen. Zum Fest der Wintersonnenwende wurde überall in den Ruinen verdünnter Wein ausgeschenkt, selbst die Ärmsten mussten diese Nacht keinen Durst und Hunger leiden. Dafür sorgten die Drachen einmal im Jahr, schließlich fand das Fest zu Ehren der Herrscher statt.
    Saffa zog die Nase hoch, dann nahm er seinen Becher aus dem Gürtel und schritt gefasst zur Kutsche. Mion und Kajan folgten ihm zögernd. Als Mion sich ihren Becher füllen ließ, zitterten ihre Hände so stark, dass sie etwas verschüttete. Eilig ging sie Saffa und Kajan nach, die sich in eine dunkle Gasse zurückzogen. Zwischen Fässern und zerbröckelten Steinmauern ließen sie sich auf den Boden sinken.
    Eine Weile saßen sie wie gelähmt da, jeder an seinen Becher geklammert, und lauschten dem Lärm des Festes. Mion konnte sich kaum vorstellen, dass alle unbekümmert weitergetanzt hatten, während doch im Wald... Schließlich sammelte sie ihren Mut und brach das Schweigen.
    »Glaubt ihr... er hat uns erkannt?« In der Nähe grölte jemand und sie fuhr zusammen. Aber es war nur ein Betrunkener.
    Kajan raufte sich das Haar. »Das war... wir haben... ich meine, es muss doch einer gewesen sein...«
    Mion starrte auf den Boden und merkte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. Erst ein Mal hatten ihre Freunde sie weinen gesehen, vorletzten Sommer, als sie einen Händler bestohlen und sich bei der Flucht das Knie aufgeschlagen hatte. Der Schmerz war so brennend gewesen, dass sie am liebsten lauthals geschluchzt hätte, aber die Angst, vor Saffa wie ein Schwächling dazustehen, hatte sie die Zähne zusammenbeißen lassen. Saffa bewunderte sie dafür, wie ein Junge einstecken zu können, und um das schmeichelnde Bild zu wahren, nahm Mion seit jeher große Mühen auf sich.
    »Du warst es«, sagte Saffa plötzlich, doch seine Stimme zitterte. Verständnislos registrierte sie, wie er mit dem Finger auf sie zeigte. »Du... du hast den Drachen erschossen.«
    »Was?« Sie brachte nur ein Flüstern zustande.
    »Du hast ihn erschossen, das warst du, nicht wir... er hat dich gesehen.«
    Mion traute ihren Ohren nicht. Sie wandte sich an Kajan, doch er wich ihrem Blick aus. Trotz der Kälte glänzte sein knochiges Gesicht vor Schweiß.
    »Wir alle drei -« Sie schluckte, ihr Mund war ganz trocken. »Wir alle drei haben es getan. Kajan, du hast den Fuchs zuerst gesehen! Es war deine Idee, überhaupt in den Wald zu gehen, Saffa! Wir stecken alle zusammen drin, verstanden?« Ihre Stimme war so schrill, dass sie vor sich selbst erschrak; kurz spähte sie die Gasse hinab, ob jemand sie gehört hatte.
    »Wir sind doch Freunde.« Mühevoll wischte sie sich über die Augen und trank ihren Becher in einem Zug leer. »Niemand hat was gesehen. Wir gehen jetzt heim und... nie wieder ein Wort darüber. Zu niemandem.«
    Ohne auf Saffas oder Kajans Einverständnis zu warten, stand sie auf und verließ mit wackeligen Schritten die Gasse.
     
    Das Ganze war Saffas Idee gewesen. Immer wieder ging Mion die Ereignisse der Nacht durch und das Unheil hatte mit Saffas Prahlerei angefangen.
    »Ich wette, du traust dich nicht, ein größeres Tier zu benutzen«, hatte er zu Kajan gesagt, als sie über die Festplätze der Wintersonnenwende schlenderten. Die Nacht war schwarz und bitterkalt, doch die offenen Feuer wärmten wie der Wein, den die Drachen ausschenken ließen. Einmal im Jahr war es ganz leicht zu vergessen, dass man in den Ruinen lebte, die sich an Wynters Mauern klammerten wie ein verstoßener, verkrüppelter Bruder der glorreichen Hauptstadt.
    »Klar trau ich mich.« Kajan versuchte, Saffas Blick gelassen zu erwidern, obwohl er bereits ahnen musste, worauf die Unterhaltung hinauslief. Saffa forderte ihn ständig zu irgendwelchen Mutproben heraus, damit sie sich vor Mion messen konnten, und in letzter Zeit wurden Saffas Einfälle immer häufiger und

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