Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)
Zimmer, und der Mann setzt sich an das sanft zischelnde Gasfeuer im Kamin, um seinen Bericht zu verschlüsseln. Als er damit fertig ist, gießt er sich einen Drink ein und greift zu seiner Geschichte Alexanders des Großen .
Plötzlich geht die Tür auf, und der Junge, nur mit einer Unterhose bekleidet, kommt ins Zimmer gestürmt.
Er hat Mühe zu sprechen, so aufgewühlt ist er, und sagt: »Du hast mich angelogen, du verfluchter Scheißkerl! Die waren noch bei ihm, alle beide; es war in den Nachrichten. Es ist so verdammt furchtbar, sogar die englischen Nachrichten bringen es. Du hast gelogen! Warum?«
Der Mann sagt: »Es musste heute Abend passieren. Morgen wäre es zu spät gewesen.«
Der Junge tritt näher. Der Mann spürt den jungen muskulösen Körper dicht neben sich, die Wärme, die er verströmt.
Der Junge sagt: »Warum hast du das von mir verlangt? Du hast gesagt, du würdest nie etwas von mir verlangen, das ich nicht tun will. Aber du hast mich reingelegt. Warum?«
Diesmal lächelt der Mann nicht. Er sagt leise: »Mein Vater hat mal zu mir gesagt, wenn Liebe und grimmige Not aufeinandertreffen, gibt es nur einen Sieger. Wahrscheinlich verstehst du das heute ebenso wenig wie ich damals. Aber du wirst es irgendwann verstehen. Bis dahin kann ich dir nur sagen, dass es mir sehr leidtut. Ich finde einen Weg, es wiedergutzumachen, versprochen.«
»Wie? Wie willst du das je wiedergutmachen?«, schreit der Junge. »Du hast einen Mörder aus mir gemacht. Was könntest du denn tun, um das ungeschehen zu machen? Nichts! Gar nichts!«
Und der Mann sagt ganz traurig, als würde er kein Geschenk darbieten, sondern ein Urteil aussprechen: »Ich werde dir deinen größten Traum erfüllen.«
BUCH EINS
Wolf und Elfe
Als die Jäger den Wolf gefangen hatten, steckten sie ihn in einen Käfig, in dem er viele Jahre schmachtete und entsetzlich litt, bis sich eines Tages eine neugierige Elfe, für die die Eisenstangen kein größeres Hindernis waren als die Schatten von Grashalmen auf einer sonnenbeschienenen Wiese, seines Elends erbarmte und ihn fragte: »Was kann ich dir bringen, Wolf, um deinen Schmerz zu lindern?«
Und der Wolf antwortete: »Meine Feinde, damit ich mit ihnen spielen kann.«
Charles Underhill: Skandinavische Volksmärchen
Wolf
1
Es war einmal, da lebte ich glücklich und zufrieden bis an mein seliges Ende.
Stimmt. Genau wie im Märchen.
Wie könnte ich mein Leben vor jenem strahlenden Herbstmorgen im Jahr 2008 anders beschreiben?
Ich war der einfache Holzfäller, der einen Blick auf die wunderschöne Prinzessin erhaschte, als sie auf der Schlosswiese tanzte, und sich in sie verliebte, obwohl er wusste, dass bei dem Standesunterschied zwischen ihnen allein schon seine Fantasien Grund genug gewesen wären, ihm den Kopf abzuschlagen, der aber gleichwohl, als den Freiern um ihre Hand drei scheinbar unmögliche Aufgaben gestellt wurden, seinen Hut in den Ring warf und nach vielen gefährlichen Abenteuern triumphierend heimkehrte, um die Erfüllung seines größten Traums zu fordern.
Genau an der Stelle nahm das Glücklich-und-zufrieden seinen Anfang, obwohl in der Märchenliteratur nie gesagt wird, wann das selige Ende kommt. In meinem Fall nach vierzehn Jahren.
Während dieser Zeit erarbeitete ich mir ein millionenschweres Vermögen, einen Privatjet, Wohnsitze in Holland Park, Devon, New York, Barbados und Umbrien, mir wurde meine reizende Tochter Ginny geschenkt und die Ritterwürde für besondere Verdienste um die Wirtschaft verliehen.
Derweil verwandelte sich meine Frau Imogen von einer duftenden jungen Prinzessin in eine elegante kultivierte Frau. Sie organisierte unser gesellschaftliches Leben mit leichter Hand, erwartete nie etwas von mir, das ich nicht leisten konnte, und bereitete mir stets einen angemessenen Empfang, wenn ich nach meinen oftmals ausgedehnten Geschäftsreisen in eines unserer Häuser zurückkehrte.
Manchmal sah ich sie an und konnte kaum fassen, womit ich eine solche Schönheit, ein solches Glück verdient hatte. Sie war für mich der Inbegriff der Vollkommenheit, mein größter Traum, und immer wenn sich die Strapazen und Belastungen meines ungemein hektischen Lebens bemerkbar machten, musste ich bloß an meine Prinzessin denken, und schon wusste ich, dass ich der glücklichste Mensch auf Erden war, ganz gleich, was das Schicksal mir bescherte.
Dann, an einem Tag im Herbst – durch einen dieser Zufälle, die sich nur eine böse Fee ausdenken kann, war es unser
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