Rache zum Dessert (German Edition)
knapp über dreißig, und dass unter seinem Anzug ein durchtrainierter Körper steckte, entging ihr ebenfalls nicht. Aber auch das tat nichts zur Sache, da sie ja mit Sven zusammen war. Sie hatte also weder Interesse daran, eine Bekanntschaft in der Bahn zu machen noch sich für etwas zu entschuldigen, was in ihren Augen sowieso nicht ihre Schuld war.
„Glücklichen Tag noch“, sagte sie herablassend und schob ihn abermals auf die Seite.
Wenn sie es noch pünktlich ins Restaurant schaffen wollte, musste sie sich jetzt wohl oder übel, zu Fuß auf den Weg machen. Ohne sich nochmal umzudrehen, stieg sie die Treppen zur Leopoldstraße nach oben. Glücklicherweise hatte wenigstens dieses Casting nicht weit von ihrer Arbeitsstelle stattgefunden, weshalb ein Fußmarsch ohne Weiteres möglich war. Allerdings hätte Theresa den Weg zur Münchner Freiheit mit der Bahn in zwei Minuten geschafft, was bedeutet hätte, dass sie nur fünf Minuten zu spät kam. Es wäre also nicht Mal ein richtiges Zuspätkommen. Bei fünfzehn Minuten allerdings, und das auch nur, wenn sie im Dauerlauf die Straße entlang hetzte, sah die Sache schon wieder anders aus.
Die Hände tief in die Taschen ihres verwaschenen grauen Anoraks gedrückt, eilte sie die Straße entlang. Stumpfsinnig hielt sie ihren Kopf gesenkt.
Was hatte sie denn von diesem Tag erwartet? Dass er anders als die anderen werden würde? Nicht nur, dass sie sich immer noch mit Kleinstrollen rumärgern musste, nein, seit Wochen schien es auch noch so zu sein, als wäre ihr Leben eine einzige Aneinanderreihung von Katastrophen. Egal was sie tat, es ging schief. Ob es nun der Kaffee war, der auf ihre frisch gestärkte Bluse tropfte oder ob es die Sohle war, die sich einfach mal so von den Sneakern löste. Es war wirklich schon alles dabei.
Fehlt jetzt nur noch, dass ich auf dem Weg in die Arbeit überfahren werde, dachte sie missmutig. Aber dann hätte ich wenigstens mal wieder Zeit zu verschnaufen, doch bei meinem Glück sterbe ich unter den Händen der Ärzte einfach weg.
Vorsichtshalber blickte sie sich beim Überqueren der Straße aber dann doch genauer um. Lebensmüde war sie ja trotz einiger Lebenspannen trotzdem nicht.
3
Ü berfahren wurde sie nicht, aber ihre Stimmung hob sich deshalb auch nicht merklich, als sie gehetzt im Restaurant ankam. Wenigstens hatte sie nur die Tagschicht bis 18:00 Uhr, weshalb nicht sehr viel los war. Aber für Theresa war sowieso jeder der sich hier niederließ schon zu viel. Unqualifizierte Gäste nannte sie diese Art von Menschen, die nur hierher kamen, um ihr den letzten Nerv zu rauben. Nach getaner Arbeit verschwanden die dann meist, ohne Trinkgeld zu geben.
Nachlässig wickelte sie sich ihre Haare zu einem Dutt zusammen, streifte den Sweater ab unter dem sie ihre Restaurantbluse trug und band die Schürze um.
Mies gelaunt trotte sie zu dem Tisch, an dem sich gerade ein ebenso mies gelaunter Gast niederließ.
Genau diese Gäste waren es, warum sie es sich immer öfter wünschte, das Gefühl frei zu sein, nicht nur spielen zu müssen. Einfach ihre Schürze hinschmeißen und aus der Tür hinausspazieren, wäre fürs Erste ein guter Anfang.
Nun stand sie vor dem Herrn, der schon aus Entfernung wie jemand aussah, den sie nicht mal in der weitläufigen Nachbarschaft haben wollte. Ohne sie auch nur anzublicken, bestellte er das Tagesangebot: Sauerbraten mit Kartoffeln und Salat. Nach kurzem Überlegen entschied er jedoch, dass das vielleicht doch nicht das Richtige für ihn sei. In einem ewigen Monolog begann er Theresa zu erklärten, warum er Sauerbraten nicht vertrug und dass Kartoffeln ihm eigentlich zu schwer im Magen liegen. Gelangweilt stand Theresa am Tisch, starrte auf die Decke und ließ seine Erklärungen durch ihren Kopf rauschen. Wen interessierte schon, dass er Sodbrennen bekam. Sie hatte ganz andere Sorgen.
„Könnte ich statt der Kartoffeln Reis bekommen? Und tauschen sie das Fleisch gegen Fisch aus. Vergessen sie aber nicht die Soße. Sauerbratensoße passt schlecht zu Fisch.“
Hatte dieser Mensch eigentlich schon mal das Wort Bitte gehört? Doch insgeheim war Theresa fast Stolz auf sich. Sie war ruhig geblieben, obwohl ihr einiges auf der Zunge lag. Beherrscht atmete sie durch, um sich wieder zu sammeln.
Wer immer auch das Universum lenkte, konnte doch jetzt auch mal jemand anderem
Weitere Kostenlose Bücher