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Rachedurst

Rachedurst

Titel: Rachedurst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Patterson
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er vom Zug. Das Letzte, was ich von ihm hörte, waren seine Schritte auf dem Kies entlang des Gleises, bevor er zwischen den Bäumen verschwand.

97
    Keller sah aus wie ein verschwommener Fleck in einem Zeichentrickfilm, als er auf mich zurannte.
    »Ich hab den Zünder!«, rief ich und hielt ihn hoch. Mit der anderen Hand deutete ich auf die Tür des Zuges. »Lassen Sie ihn nicht entwischen!«
    Doch Keller ging nirgendwo hin, sondern sank gleich neben mir auf ein Knie. »Verdächtiger, bewaffnet und zu Fuß«, meldete er in sein Funkgerät. »Alles in Ordnung?«, fragte er mich.
    Mein Brustkorb fühlte sich an, als hätte ich gerade mit einer Abrissbirne Polka getanzt, doch ich war noch am Leben: »Ja, mir geht’s gut.« Ich reichte ihm den Zünder.
    Dann hob ich mein Hemd. Gemeinsam begutachteten wir die Kugel in der Kevlar-Weste, die ich auf Kellers Drängen hin trug.
    Er lächelte. »Voll ins Schwarze.«
    »Oh, wie lustig. Sie hätten mich töten können!«
    »Ja, schon möglich«, erwiderte Keller. »Aber Torenzi hätte es mit Sicherheit getan.«
    »Onkel Nick?«
    Wir drehten uns zu Elizabeth, die immer noch zwei Meter entfernt auf dem Boden lag. Und immer noch Sprengstoff am Leib trug.
    Keller ging zu ihr und half ihr beim Aufstehen.
    »Schatz, das ist Agent Keller vom FBI«, sagte ich. »Er wird dir die Bombe abnehmen.«
    Ich blickte Keller an, der mir irgendwo zwischen Hoffnung und Vertrauen zunickte. Ich werde mein Bestes tun.

    Dann hielt er den Zünder wie ein Fabergé-Ei nach oben und begutachtete ihn von allen Seiten. Es war tatsächlich ein Klapphandy ohne Klappe.
    »Dann wählt er also eine Nummer, und wir fiegen alle in die Luft – funktioniert das so?«, fragte ich.
    »Nur eine einzige Zahl … Kurzwahltaste«, erklärte Keller und deutete auf Elizabeth. »Irgendwo an ihr ist die Klingel eines anderen Telefons, die mit einer Zündkapsel verbunden ist. Ganz einfach. Die ETA hat dieses System erfunden, bevor es von den Dschihadisten und jetzt offenbar von italienischen Killern übernommen wurde.«
    Keller vermutete, dass ich aufgrund meines Berufs wusste, was ETA bedeutete.
    Er hatte recht, und er meinte nicht die Abkürzung für »Elektronischer Triebwagen mit Akkumulatorenbatterie«, nur weil wir uns in einem Zug befanden. ETA war die baskisch-nationale Untergrundorganisation.
    »Oh, entschuldigen Sie, aber sollten wir nicht die Bombenspezialisten rufen?«, fragte der Zugführer. Er saß immer noch ein bisschen benommen auf dem Boden, überblickte aber die Situation durchaus.
    »Sie sind schon auf dem Weg«, antwortete Keller. »Das Problem ist nur, so lange haben wir nicht Zeit.«
    Das war nicht unbedingt die Antwort, die der Fahrer erwartet hatte. »Warum nicht?«, kam er meiner Frage zuvor.
    »Weil im Moment jedes Telefon diese Bombe hochgehen lassen kann«, erklärte Keller. »Torenzi braucht nur eins in die Finger zu kriegen.«
    »Und was machen wir jetzt?«, fragte ich.
    »Wir tun gar nichts«, antwortete Keller. »Ihr beide macht euch sofort vom Acker. Mindestens hundert Meter weit weg. Also los, haut ab.«

    »Ich gehe nirgendwo hin«, protestierte ich. »Ich bleibe hier. Basta.«
    Es war die leichteste Entscheidung, die ich je getroffen hatte, und sie schien Keller nicht sehr zu überraschen. Er widersprach mir nicht, sondern wandte sich nur an den Fahrer.
    »Sind Sie verheiratet?«, fragte er ihn.
    Der Typ war nicht unbedingt auf ein Frage-und-Antwort-Spiel eingestellt, auch wenn es nicht schwer zu werden drohte. Er schaukelte immer noch beunruhigt hin und her.
    »Ich habe gefragt, ob Sie verheiratet sind«, wiederholte Keller.
    »Ja«, antwortete der Fahrer.
    »Kinder?«
    Mehr sagte Keller nicht.
    Das war nicht nötig.
    »Ich bin dann mal weg hier. Viel Glück«, wünschte uns der Fahrer. »Ich bete für euch.«

98
    Ich beobachtete den Fahrer durchs Fenster hindurch. Er tat genau das Richtige und rannte wie der Teufel davon. Dann machte sich Keller an die Arbeit. An eine knifflige, sehr riskante Arbeit.
    »Gut, Elizabeth, du musst dich jetzt nur entspannen«, sagte er mit sanfter Stimme. »Als Erstes werden wir dir deine Jacke ausziehen. Ist das in Ordnung für dich?«
    Sie ballte die Hände zu Fäusten und nickte. »Okay.« Was für eine Heldin. Wie gesagt, sie ist der tapferste Mensch, den ich kenne.
    Ganz langsam zog Keller den Rest des Reißverschlusses von Elizabeths grüner Jacke auf, vorbei an der kleinen gestickten Blume bis hinunter zum Ende. Je tiefer er kam, desto

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