Rachegott: Thriller
den Schultern hinab. Die blauen Augen musterten die Kommissare mit besonderem Interesse.
„Sind Sie die Hauptkommissare Feldt und Korn?“, fragte er sie mit hoher Stimme.
Nora und Tommy nickten, woraufhin sich der Mann vorstellte: „Mein Name ist Waldemar Ruttig. Ich vertrete Dirk Schubert auf unbestimmte Zeit. Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen.“
„Ah, ja. Frederik Kortmann hat uns schon von Ihnen erzählt. Es freut uns ebenfalls.“ Nora setzte ein Lächeln auf und reichte dem Mann die Hand. Tommy machte es ihr nach.
„Ist das nicht eine furchtbare Tragödie?“, fragte Waldemar anschließend in einem mitleidsvollen Ton. Er betrachtete Gertruds Leichnam und schüttelte den Kopf. „Ich werde nie begreifen, wie ein Mensch die Schwelle zum Mord überschreiten kann. Wie abgestumpft muss jemand sein, um zu einer solchen Tat fähig zu sein? Wie viele Aspekte müssen in dessen Erziehung schiefgelaufen sein? Dieser Mord ist barbarisch!“
„Der Mörder muss nicht zwangsläufig emotional abgestumpft sein“, wusste Nora. „Vielleicht ist er einfach sehr verzweifelt. Verzweifelte Menschen sehen sich häufig zu einer solchen Bluttat gezwungen, obwohl sie diese eigentlich selbst verabscheuen. Auch die Erziehung muss in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen.“
„Sie haben absolut recht“, entgegnete Waldemar in einem unterwürfigen Tonfall. „Ich wollte in Bezug auf den Täter keine voreiligen Schlüsse ziehen. Das wäre sicherlich das Dümmste, das ich machen könnte. Daher werde ich mich mit weiteren Kommentaren zurückhalten. Aber ein Mord ist in meinen Augen immer eine besondere -“ Er brach diesen Satz abrupt ab, schob ein Bein vor und sah zu Boden.
„Was wollten Sie sagen?“, hakte Tommy nach.
„Ach, das ... das ist nicht wichtig. Ich denke, dass ich Ihnen jetzt lieber alle Informationen geben sollte, die uns bereits vorliegen. Denn ich gehe davon aus, dass Sie keine unnötige Zeit bei der Tätersuche vergeuden wollen. Immerhin könnte jede Minute von unschätzbarem Wert sein.“ Er zog einen Notizblock hervor und schlug dessen erste Seite auf. „Mithilfe der Kollegen habe ich bisher Folgendes in Erfahrung gebracht: Das Opfer heißt Gertrud Muster. Sie ist 52 Jahre alt. Vor etwa zwanzig Minuten rief ihr Mann Herbert in der Zentrale an. Er fand sie erschossen in ihrem Auto vor der Garage. Da er sie vor einer knappen Stunde telefonisch in ihrem Verlagshaus erreicht hat, kann sie noch nicht länger als vierzig oder fünfzig Minuten tot sein. Vom Verlag braucht man nämlich mindestens zehn Minuten mit dem Auto bis hierher. Das hat Herr Muster angegeben. Als hilfreiche Spur konnte die Tatwaffe sichergestellt werden. Bezüglich des Ablaufs ist noch nicht geklärt, ob der -“
Nora hob ihre Hände und unterbrach Waldemar mit den Worten: „Einen Moment bitte. Sie haben tatsächlich die Mordwaffe gefunden? Sind Sie sich dessen absolut sicher? Müssen diesbezüglich nicht zunächst einige Untersuchungen durchgeführt werden?“
„Das wird in diesem Fall nicht notwendig sein. Die gefundene Waffe lag nämlich direkt neben dem BMW.“
Das heißt nicht viel , dachte Nora. Aber sie hielt sich mit einer Bemerkung zurück, da ihr umgehend Kortmanns Hinweis durch den Kopf rauschte: Er heißt Waldemar Ruttig, ist gerade einmal 35 Jahre alt und sehr, sehr unerfahren. Aus diesem Grund möchte ich Sie bitten, ihm etwas unter die Arme zu greifen.
„Auf welcher Seite des Wagens lag denn die Waffe?“, wollte Nora daher freundlich wissen.
„Sie lag vor der Fahrertür.“
„Wer hat sie gefunden?“
„Herbert Muster. Bei unserer Ankunft vor ein paar Minuten schwor er, die Waffe nicht berührt zu haben.“
„Wo ist er jetzt?“
„Er befindet sich dort vorne.“ Waldemar zeigte hinüber zum Haus. Vor dessen Eingangstür stand Herbert Muster wie ein Häufchen Elend. Er war eins neunzig groß, hatte kurze schwarze Haare und trug einen blauen Nadelstreifenanzug. Unzählige Tränen rannen über seine Wangen.
„Wir haben die Mordwaffe inzwischen eingetütet“, fuhr Waldemar fort. „Möchten Sie sie sehen?“
„Nein, das wird nicht nötig sein. Die Laborergebnisse werden uns später alle hilfreichen Informationen bieten können“, antwortete Nora, ehe sie näher an den BMW herantrat und den Leichnam begutachtete. Dabei erkannte sie, dass die tödliche Kugel in Gertruds linke Schläfe eingeschlagen und über ihrem rechten Ohr wieder ausgetreten war. Offensichtlich hatte sie sich dann in der
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