Rachekind: Thriller (German Edition)
geschehen sein mochte, um Steve aus der Wohnung zu locken, es blieb jenseits ihrer Vorstellungskraft. Sie wandte sich schnell ab und fischte eine Zuckertüte aus einer Schale mit Rosenmuster. Ihre Nachbarin sollte nicht sehen, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten.
Britt legte das Foto zur Seite. »Ich finde, Lilou sieht eher dir ähnlich. Die blauen Augen und die blonden Haare hat sie jedenfalls von dir. Hast du mehr Bilder?«
»Natürlich.« Hanna wischte sich verstohlen die Augen, dann zog sie ein Fotoalbum aus dem Regal neben dem Küchentisch. »Unsere Hochzeitsreise.«
Gierig griff Britt nach dem Album und verschlang Seite um Seite, als hätte Hanna ihr exklusive Skandalbilder eines A-Promis offeriert.
»Wie habt ihr euch denn kennengelernt?«
»In einer Kneipe.« Hanna lächelte bei dem Gedanken an ihre erste Begegnung mit Steve. »Er hat mir ein Bier über die Hose geschüttet und mich zur Entschädigung zum Essen eingeladen.«
»Wann war das?«
»Vor zwei Jahren. Ziemlich genau ein Jahr nachdem ich hierhergezogen bin. Und als ich ihm erzählt habe, dass ich bei einem Schlüsseldienst jobbe, hat er mich sofort abgeworben. Er hat seine Firma kurz zuvor von einem alten Mann übernommen, und es gab ziemlich viel zu tun. Dann bin ich schwanger geworden, und als Lilou kam, habe ich aufgehört zu arbeiten. Abgesehen von dem Bürokram, den ich hier erledige.«
»Hast du ihn inzwischen erreicht?«
»Nein.« Hanna wich Britts Blick aus. Sie setzte sich neben sie und blätterte in dem Album, das noch immer aufgeschlagen vor ihr lag. Jedes Bild bezeugte das unbeschreibliche Glück, das sie damals erfüllt hatte. Abrupt klappte sie es zu.
»Er hat dich verlassen, nicht wahr?« Britts Hand lag auf ihrer, und ihre Stimme war ganz weich.
»Natürlich nicht.« Hanna zog ihre Hand zurück. »Steve ist keiner, der sich heimlich davonschleicht.«
»Er war hier«, fuhr Britt unbeirrt fort. »Vorgestern. Deshalb war ich so verwundert, dass du mit dem Taxi heimkommen wolltest.«
Hanna erstarrte. »Du hast ihn gesehen?«, presste sie hervor.
»Gehört. Er ist von Zimmer zu Zimmer gegangen. Du weißt ja, wie hellhörig das Haus ist … Ich bin dann hoch … Ich wollte fragen, wie es Lilou geht.«
»Und dann?«
»Er hat nicht aufgemacht.« Britt tastete erneut nach Hannas Hand, ergriff sie und drückte sie so fest, dass Hannas Ehering sich schmerzhaft gegen Mittelfinger und kleinen Finger drückte »Ich wusste nicht, ob ich dir davon erzählen sollte. So wie du jetzt schaust, hätte ich wohl besser den Mund gehalten.«
Hanna atmete tief durch. Der Schmerz in den Fingern lenkte sie ein wenig von dem Krampf ab, der ihr Herz zerquetschte wie eine Schrottpresse ein ausgemustertes Auto. Britt musste sich getäuscht haben. Das Haus hatte eine seltsame Akustik. Manchmal klang es, als liefe jemand über einem herum, und dabei kam der Lärm aus der Wohnung darunter. Als sie sich verabschiedet hatte, um zu dem Kunden-Event zu gehen, hatte er sie zärtlich geküsst. Erst auf die Stirn, dann auf die Nase, dann auf den Mund, wie er es immer machte. Drei Küsse, symbolisch für ihre kleine Familie. Du hättest Britt die Tür geöffnet und gefragt, wo wir sind.
»Vielleicht hast du dich verhört.«
»Verhört?« Britt zog die Augenbrauen nach oben. »Was gibt’s denn zu verhören, wenn ich vor der Tür stehe und dahinter rumpelt’s?«
Hanna sprang auf. »Warte.«
Sie lief ins Schlafzimmer und riss den Schrank auf. Sofort bemerkte sie die Lücke, wo letzte Woche noch seine Reisetasche gestanden hatte. Übelkeit stieg in ihr hoch. Er hatte seine Tasche gepackt. Mit einem schnellen Blick überflog sie den Inhalt des Schranks. Es fehlten T-Shirts und die schwarz-braun karierte Hose. Mehr registrierte sie nicht, bevor sie zur Toilette rannte und sich übergab.
Obwohl sie sich ihre Gesellschaft vorhin so sehr gewünscht hatte, hoffte sie jetzt inständig, dass Britt in der Zwischenzeit gegangen war. Doch sie hörte ihre Stimme leise aus der Küche durch den Flur wandern und fragte sich, mit wem sie wohl redete. Hanna holte tief Luft, zählte bis drei und trat in die Küche. Lilou saß auf Britts Schoß und sah gebannt auf die Seiten des Bilderbuches, aus dem Britt ihr vorlas. Noch nie hatte Lilou auf dem Schoß eines Fremden gesessen. Sie hätte eigentlich weinen müssen, als sie nach dem Aufwachen nur Britt in der Küche gesehen hatte.
»Alles okay?« Britts Stimme verriet, dass sie genau wusste, dass nichts okay war.
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher