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Radau im Reihenhaus

Radau im Reihenhaus

Titel: Radau im Reihenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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umarmte hilfesuchend die Standuhr. Die blieb aber wirklich stehen. Nur der Perpendikel fiel herunter – genau auf Männe Frieses Lackschuh. Mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb er seinen Fuß und wurde von Frau Heinze glatt überrannt. Es war eine filmreife Slapstick-Szene.
    Straatmanns als einzige Nichtbetroffene erhoben sich nur zögernd, setzten sich jedoch sofort wieder hin, als die Silberbraut zu jammern anfing: »Warum wollen Sie denn alle schon gehen? Wir haben doch noch so viel zu essen und zu trinken da, und wenn mein Sohn nachher kommt…«
    »Jetzt müssen wir uns erst einmal um die Kinder kümmern«, sagte Dorle. »So, wie es aussieht, haben sie sich schlichtweg überfressen. Sie haben ja auch viel zuviel Kuchen rübergebracht.«
    »Ich habe es doch nur gut gemeint. Könnten Sie denn nicht nachher noch mal kommen, wenn die Kinder im Bett sind?« bettelte sie hoffnungsvoll. »Wir sind doch sonst ganz allein, und wo man doch nur einmal im Leben Silberhochzeit feiert…« Sie weinte beinahe.
    »Doch, wir kommen nachher wieder!« versprach Dorle und zog mich aus der Tür.
    Sehr munter sah unser Nachwuchs wirklich nicht aus. Er war ungewohnt ruhig und nur allzu gern bereit, sofort ins Bett zu gehen. Rolf übernahm die Mutterpflichten, während ich Dorle beim Aufräumen half. Mit einem kurzen Blick hatte Obermüller festgestellt, daß seine Anwesenheit weder erwünscht noch erforderlich war, und sofort begab er sich zurück an die Quelle, aus der so reichlich sein Lebenselixier sprudelte. »Denn also tschüß, bis nachher!«
    »Müssen wir da wirklich noch mal hin?« Ich hatte überhaupt keine Lust mehr, hauptsächlich deshalb, weil Rolf noch immer nicht mitkommen wollte.
    »Ich hab’ es ihnen doch versprochen!« Dorle bearbeitete den Teppich mit Seifenschaum, ich schrubbte auf dem Sessel herum. »Die beiden tun mir ganz einfach leid. Gesetzt den Fall, ihr Sohn kommt nun doch nicht, dann hocken sie womöglich wirklich allein da und kommen noch auf irgendwelche dummen Gedanken. Ich finde es sowieso merkwürdig, daß sich der einzige Sohn nicht öfter blicken läßt. Hast du ihn schon mal gesehen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Vielleicht kann er das mit seinem Beruf nicht vereinbaren. Weißt du, was er macht?«
    »Keine Ahnung. Sie hat mir nur erzählt, daß er ziemlich viel Geld verdient und gerne teure Autos fährt. – Ob ich es mal mit Benzin versuche?«
    Es war schon nach neun, als wir uns erneut auf den Weg zu Körngens machten. Straatmanns saßen noch immer auf denselben Plätzen, auf denen sie schon seit Stunden thronten, und strahlten mit den Mayonnaisebrötchen um die Wette. Obermüller war in ein tiefsinniges Gespräch mit Herrn Heinze versunken, was man in diesem Fall durchaus wörtlich nehmen konnte, denn ihre Köpfe sanken immer tiefer in die Weingläser. Vogts hatten es vorgezogen, nicht wiederzukommen. Auch das junge Brautpaar fehlte, und das Ehepaar Friese war nur noch durch den männlichen Teil vertreten. Männe trank Bier und pries seiner Gastgeberin die Vorzüge von Perücken.
    »Sie werden ein ganz anderer Mensch! Das können Sie mir ruhig glauben. Ein ganz anderer Mensch werden Sie. Ich habe genau das Richtige für Sie. Pechschwarz. Kommt aus China. Ich mache Ihnen auch einen Vorzugspreis. Nicht wiedererkennen werden Sie sich!«
    Frau Körngen versprach, sich die Sache zu überlegen, aber eigentlich sei sie mehr für Silberblond. Schwarz sei zu ordinär. »Wenn überhaupt, dann nehme ich aber nur garantiert echte Haa…« Es klingelte. Wie elektrisiert sprang sie auf. »Das wird wohl Detlev sein!« Mit wehender Schleppe eilte sie zur Tür.
    Es war Detlev. Einsneunzig groß, zwei Zentner schwer, kantiges Gesicht, tiefliegende dunkle Augen und ein Bart wie weiland Dschingis-Khan. Die dunkelblonden Haare hatte er mit Brillantine bearbeitet und in schwungvollen Wellen auf dem Kopf festgeklebt.
    »Ob das ein Findelkind ist? Oder wie sonst sollten die kleinen Körngens zu diesem lebenden Kleiderschrank kommen?« wisperte Dorle. »Er sieht aus, als ob er seine Brötchen als Catcher verdient!«
    Detlev gab uns allen artig die Hand, wirbelte seine Mutter einmal kurz durch die Luft, küßte sie herzhaft und setzte sie mitten auf dem Tisch wieder ab. Dann zog er ein kleines Etui aus der Tasche, öffnete es, entnahm ihm etwas Blitzendes und steckte es ihr an den Finger.
    »Alles Gute für die nächsten fünfundzwanzig Jahre, Muttchen!«
    Muttchen strahlte. Jetzt durfte sie auch den Tisch wieder

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