Radau im Reihenhaus
in die Vergangenheit getaucht.
»Wissen Sie noch, wie mich der Brauer mitten in der Nacht rausgeklingelt und mir zwei Dutzend Austern in die Hand gedrückt hat, weil ich ihn doch ein paar Stunden vorher wegen seines unmöglichen Benehmens rausgeschmissen hatte? Ganz zerknirscht stand er mit seiner Versöhnungsgabe vor der Tür und wünschte ›Guten Appetite. Wo er die Dinger um diese Zeit hergekriegt hat, ist mir noch heute ein Rätsel. Dämlicherweise hatte er die Schalen schon alle geöffnet, und so blieb mir nichts anderes übrig, als meinen Mann zu wecken und ihm zu erklären, daß und warum wir jetzt Austern essen müßten. Da saßen wir also nachts um zwei im Bett, schlürften die glibbrigen Viecher und tranken Brause dazu. Sekt wäre natürlich stilvoller gewesen, aber den hatten wir nicht im Haus.« Frau Heinze lachte noch im nachhinein.
»Übrigens sind Brauers kurz nach Ihnen weggezogen. Man hatte ihm eine Stellung am Tropeninstitut in Hamburg angeboten. Lange ist er dort aber nicht geblieben. Seine Frau hat sich dann doch endlich scheiden lassen, und danach soll er nach Mozambique gegangen sein. Genau weiß ich das aber nicht. Seitdem Karin wieder verheiratet ist, haben wir keinen Kontakt mehr.«
»Wissen Sie eigentlich, was aus Vogts geworden ist?«
Frau Heinze stärkte sich mit einem neuen Schluck. »Nicht direkt. Herr Vogt ist gestorben, als Karsten gerade fünfzehn geworden war. Drei Jahre lang soll er noch brav zur Schule gegangen und sogar ein glänzendes Abitur gebaut haben. Dann hat er sich angeblich Haare und Bart wachsen lassen, zog Jeans und Parka an und übersiedelte in eine Wohngemeinschaft. Was er jetzt macht, weiß ich nicht. Vielleicht ist er Berufsdemonstrant oder Hausbesetzer. Wundern würde es mich nicht. An dem armen Kerl ist in seiner Kindheit viel zu viel herumerzogen worden.«
Auch über Babydoll oder Familie Friese konnte Frau Heinze nichts sagen. »Wir haben ja auch nicht mehr lange in Monlingen gewohnt. Als Schätzchen mit dem Gedanken spielte, sich selbständig zu machen, wollte er das natürlich nicht in Düsseldorf tun. Ihm schwebte Frankfurt vor. Da kann man aber nur arbeiten und nicht wohnen, also sind wir in den Taunus gezogen. Der einzige Nachteil ist, daß wir Patricia so selten sehen, denn Tassilo konnte natürlich seine Praxis nicht einfach verlegen!«
Wir kamen vom Hundertsten ins Tausendste. Die ganze damalige Zeit wurde noch einmal lebendig: Ikiko und die McBarrens, der Aufmarsch von Isabells Neffen, die Gartenparty und Körngens Silberhochzeit… Wir schwelgten in Nostalgie, wischten uns zwischendurch die Lachtränen aus den Augen und bedauerten nur, daß Dorle nicht bei uns war. »Ich habe keine Ahnung, was aus ihr geworden ist«, sagte Frau Heinze. »Das Haus gehörte ja Obermüllers Vater, aber soviel ich weiß, haben sie es nach dessen Tod verkauft. Wo die Familie dann abgeblieben ist, kann ich beim besten Willen nicht sagen.«
Wochen waren seit Frau Heinzes Besuch vergangen, und noch immer ließ mir unser Gespräch keine Ruhe. Ob ich nicht doch mal versuchen sollte…?
Die Dame von der Telefonauskunft zeigte sich trotz der späten Stunde dienstbereit. Doch, ein Hans Obermüller sei in Monlingen registriert; ob ich die Nummer haben wolle? Eigentlich war es ja schon zu spät für einen Anruf, andererseits hatten Obermüllers nie zu den Hühnern gehört, die bei Sonnenuntergang schlafen gehen. Kurz darauf hatte ich Dorle an der Strippe, und sechs Wochen später fuhr ich nach Monlingen.
Ich erkannte es nicht wieder. Aus dem verschlafenen Nest war eine kleine Großstadt geworden, was sich besonders daran zeigte, daß es von so ziemlich allen namhaften Versandhäusern Filialen gab.
Zahlreiche Supermärkte, noch mehr Boutiquen und sogar ein Steakhouse zeugten vom Bevölkerungszuwachs. Hatte es früher nicht mal eine Realschule gegeben, so besaß Monlingen nun sogar zwei. Ferner ein Gymnasium und ein Pudding-College, wie Riekchen die Hauswirtschaftsschule nannte, die sie zwei Jahre lang besucht hatte. (Jetzt bekochte sie ihren Freund. Ihm scheint das zu gefallen, denn er will sie noch in diesem Jahr heiraten.) Kindergärten hatte man ebenfalls eingerichtet und sicher auch ein Altersheim. Monlingen hatte sich dem Trend der Zeit angepaßt.
Zum Wiesengrund fand ich gar nicht hin. Ich gab die Suche auf, fragte mich zur Weidenstraße durch und stand vor einem dreistöckigen Wohnhaus. Wenigstens Obermüllers hatte ich gefunden.
Nachdem wir Familiäres und
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