Radioactive -Die Verstossenen
Dieser Tag ist einer der Wichtigsten meines Lebens, denn er wird meine Zukunft bestimmen.
Meine Füße berühren den grauen Fliesenboden. Die Kälte lässt mich für einen Moment zurückzucken, wie jeden Morgen. Die Fliesen verhalten sich genauso wie die Deckenplatten. Am Morgen sind sie kalt. Sie wärmen sich durch Strom über den Tag auf, sodass sie am Abend eine angenehme Wärme erreichen und ab 22:00 Uhr wieder abkühlen. So ist der Kreislauf.
Mit einem leichten Klebegeräusch tapse ich barfuß zu der gegenüberliegenden Seite meines Zimmers. Die morgendliche Dusche ist genauso unerlässlich wie das Dehnen der Muskulatur. Ich streife mir das rote knielange Nachthemd vom Kopf und stecke es in den Wäscheschacht neben der Dusche. Ein „ Plopp “ und es ist verschwunden. Durch Luftzug und –druck wird es nun in die Wäscherei weitergeleitet, wo es zusammen mit der Wäsche der restlichen Besatzung gereinigt und am Abend neu zugeteilt wird.
Manchmal habe ich mich gefragt, wie oft ich wohl schon dasselbe Nachthemd getragen habe, ohne es gewusst zu haben. Es macht im Grunde keinen Unterschied, da alle Nachthemden in Größe, Farbe und Material identisch sind. Trotzdem würde es mich interessieren. Der Gedanke beherrschte mein Denken schon, als ich noch zu den Gelben gehörte. Es war kurz vor meinem Heranwachsendenalter, als ich bei einem der Nachthemden leicht den Saum an einer Ecke auflöste. Ich hatte gehofft, es so wiedererkennen zu können. Doch die Aufsicht der Wäscherei hatte es bemerkt und es meiner Erzieherin gemeldet. Sie schimpfte mit mir und sagte, dass ich kein Recht hätte, Dinge zu zerstören. Es sei wichtig, dass alles gleich ist, denn nur die Einheit ist stark. Sie informierte sogar eine Legionsführerin und zwang mich, zu wiederholen, warum ich das Hemd kaputt gemacht hatte. Doch anders als die Erzieherin tadelte mich diese nicht. Sie reagierte auf eine Weise, wie ich es nur selten in der Sicherheitszone erlebt habe. Sie lächelte. Ihr Lächeln brachte mein Herz zum Klopfen und löste ein Zucken in meinen eigenen Mundwinkeln aus. Der Blick meiner Erzieherin war eine Genugtuung für mich. Ihre Augen wurden so groß, dass sie ihr beinahe aus dem Kopf gefallen wären. Aus meinem Mund kamen ungewohnte Laute, wie das Klingeln der Pausenglocke, aber irgendwie schöner. Die Legionsführerin in ihrem weißen Anzug sagte mir eine große Zukunft voraus, denn meine Gedanken würden Intelligenz beweisen. Auch wenn ich mich nicht an die Bezeichnung der Legionsführerin erinnern kann, so werde ich nie ihr hübsches Gesicht vergessen. Wie alle anderen hatte auch sie blaue Augen, doch bei ihrem Lachen bildeten sich kleine Grübchen in ihren Wangen. Es war das erste Mal, dass ich mit einer Legionsführerin gesprochen habe. Heute will ich ihr beweisen, dass sie Recht hatte.
Warmer Wasserdampf hüllt meinen Körper ein. Mit den Händen fahre ich über meinen kahlen Kopf. Aus dem Bildungsunterricht weiß ich, dass die Menschen früher fließendes Wasser zum Duschen benutzten. Sie verschwendeten es, ohne auch nur einmal an diejenigen zu denken, die nach ihnen kommen würden. Die Wasserressourcen der Erde sind zu knapp, um es für die Dusche zu vergeuden. Wasserdampf weitet die Poren, sodass alle Geruchsstoffe aus dem Körper treten. Fließendes Wasser ist dafür nicht nötig. Nach dem Dampf folgt Trockenluft, die mit einem neutralisierenden Stoff durchsetzt ist. Es ist nicht angebracht, Menschen an ihrem Geruch unterscheiden zu können. Unterschiede führen zu Diskriminierung.
Nackt trete ich aus der Dusche und gehe an der glatten Metallwand lang entlang zum Versorgungsschacht. Er besteht aus zwei Klappen. Eine enthält einen frischen roten Anzug, den ich mir schnell überstreife. Schwarze, glänzende Stiefel runden das Ganze ab. Es ist mein letzter Tag als Rote!
Die andere Klappe ist leer, doch wird sie von einem blauen Lichtstrahl erleuchtet. Als ich meinen Arm hineinhalte, schaltet das Licht auf Rot um. Jetzt gerade wird meine Hand gescannt, sodass meine Blutwerte analysiert werden können. Es ist wichtig, dass die Nahrung eines jeden Besatzungsmitglieds speziell auf die eigenen Bedürfnisse angepasst wird. Der Haushalt eines Menschen variiert je nach Tagesform und körperlicher Belastung.
Nach etwa einer Minute schaltet das Licht bereits auf Grün um und ich ziehe meine Hand zurück. Die Klappe schließt sich für wenige Sekunden. Als sie sich wieder öffnet, befindet sich ein Tablett mit
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