Rächende Geister
Und Henet, meine treue Henet…«
Henet lag auf den Knien und wischte sich geflissentlich Tränen aus den Augen.
»Es tut wohl, dich wiederzusehen, Henet. Du bist doch gesund und glücklich? In treuer Liebe ergeben wie stets… das erfreut mein Herz. Und mein ausgezeichneter Hori, so gewissenhaft in allen Abrechnungen und gewandt mit der Feder! Gedeiht alles wohl? Ich bin dessen sicher.«
Als schließlich die Begrüßung ein Ende gefunden hatte und das Gemurmel ringsum erstarb, hob Imhotep, Schweigen gebietend, die Hand und sprach mit lauter, klarer Stimme:
»Meine Söhne und Töchter, meine Freunde. Ich habe euch eine Neuigkeit mitzuteilen. Seit vielen Jahren bin ich, wie ihr alle wisst, ein einsamer Mann. Meine erste Frau – eure Mutter, Yahmose und Sobek – und meine Schwester und zweite Frau – deine Mutter, Ipy – sind vor vielen Jahren zu Osiris eingegangen. Deshalb bringe ich euch, Satipy und Kait, eine neue Schwester, die euer Haus teilen wird. Seht, dies ist mein Weib, Nofret, die ihr um meinetwillen lieben sollt. Sie ist mit mir von Memphis gekommen und wird hier bleiben, wenn ich wieder fortreise.«
Während er dies sagte, schob er eine Frau in den Vordergrund. Sie stand nun neben ihm, mit zurückgeworfenem Kopf und zusammengezogenen Brauen, jung, anmaßend und schön.
Renisenb dachte mit Schrecken und Verwunderung: Aber sie ist ja noch so jung, wahrscheinlich nicht älter als ich.
Nofret rührte sich nicht. Um ihre Lippen spielte ein schwaches Lächeln, das eher spöttisch als ängstlich war und deshalb missfiel.
Sie hatte sehr gerade dunkle Brauen und eine glühende Bronzehaut; ihre Wimpern waren so lang und dicht, dass man kaum ihre Augen sah.
Die Familie betrachtete sie verdutzt in dumpfem Schweigen.
Mit leicht gereiztem Unterton fuhr Imhotep fort: »Nun, meine Kinder, heißt Nofret willkommen. Wisst ihr nicht, wie ihr das Weib eures Vaters zu begrüßen habt, wenn er es in sein Haus bringt?«
Zögernd und zurückhaltend wurde die junge Frau begrüßt.
»So ist’s recht! Meine liebe Nofret… Satipy, Kait und Renisenb werden dich zum Frauengemach geleiten. Wo sind die Kisten?«
Die runddeckligen Reisekisten wurden an Land getragen.
Imhotep sagte zu Nofret: »Hier sind deine Juwelen und deine Gewänder. Geh und sieh zu, dass sie verwahrt werden.«
Als die Frauen sich entfernt hatten, wandte er sich an seine Söhne: »Die Geschäfte können bis morgen warten, meine Lieben. Heute wollen wir uns des Wiedersehens freuen. Komm, Ipy, mein Junge, lass uns miteinander heimgehen. Wie groß du geworden bist – du überragst mich ja schon.«
Mürrisch trottete Sobek hinter seinem Vater und Ipy her. Er flüsterte Yahmose ins Ohr: »Juwelen und Gewänder, hast du das gehört? Da ist der Gewinn des nördlichen Besitzes geblieben. Unser Gewinn.«
»Sei still«, raunte Yahmose. »Unser Vater hört dich.«
»Und wenn er mich hört? Ich fürchte mich nicht vor ihm – wie du.«
Als sie im Haus angelangt waren, trat Henet zu Imhotep ins Zimmer, um das Bad vorzubereiten. Sie war ganz Lächeln.
Imhotep stand von seiner verteidigenden Herzlichkeit ab, als er sie fragte:
»Nun, Henet, was hältst du von meiner Wahl?«
»Oh, sie ist schön! Wunderschön! Welches Haar, welche Gestalt! Sie ist deiner wert, Imhotep, mehr vermag ich nicht zu sagen. Dein liebes Weib, das tot ist, wird sich freuen, dass du eine solche Gefährtin gewählt hast, die dir die Tage verschönt.«
»Du kanntest meine Frau gut… Ich fand es einfach an der Zeit, wieder wie ein Mann zu leben. Werden meine Söhne und Töchter es mir wohl verargen?«
»Das sollten sie lieber nicht tun«, erwiderte Henet. »Sind alle in diesem Hause nicht von dir abhängig? Deine Güte kleidet und ernährt sie, ihr Wohlergehen ist ganz und gar das Ergebnis deiner Bemühungen.«
»Ja, das stimmt.« Imhotep seufzte. »Ich bin um ihretwillen fortwährend tätig. Manchmal bezweifle ich, ob ihnen klar ist, was sie mir zu verdanken haben.«
»Du musst sie daran erinnern. Ich, deine demütig ergebene Henet, vergesse nie, was ich dir verdanke. Aber Kinder sind mitunter gedankenlos und selbstsüchtig; sie wähnen vielleicht, dass sie die Hauptpersonen sind, und machen sich nicht klar, dass sie nur die ihnen gegebenen Anweisungen auszuführen haben.«
»Das stimmt wirklich«, nickte Imhotep. »Ich habe immer gesagt, du bist ein sehr kluges Geschöpf, Henet.«
»Du bist zu gütig, Herr.«
Sie machte eine Pause und fügte dann hinzu: »Die Sklaven warten
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