Rätselhafte Umarmung
sich diesem süßen, sanften Genuß hin, der sie immer weiter in die Nacht trug ... bis ein Klirren und ein schriller Schrei die Stille durchschnitten.
Kapitel 6
Bryan stürzte zur Tür, dicht gefolgt von Rachel. Er stürmte die große Haupttreppe hinauf und rannte zu Addies Zimmer. Addie kreischte noch mal, als er ins Zimmer platzte.
»Herrgott, Hennessy!« erboste sie sich und drohte ihm mit der geballten Faust. »Ich sollte Ihnen eine runterhauen! Sie haben mich halb zu Tode erschreckt!«
Bryan ignorierte den Tadel. »Addie, was ist passiert? Wir haben Lärm gehört. Ist alles in Ordnung?«
»Mir geht es gut, aber das habe ich bestimmt nicht Ihnen zu verdanken.« Sie krallte eine Hand in ihr Nachthemd, bis die Fingerknöchel weiß hervortraten. »Vor meinem Fenster war ein Geist, der hier herein wollte! Gehen Sie raus und fangen Sie ihn«, befahl sie und deutete mit dem Finger auf das Fenster. »Das ist doch Ihr Beruf, oder nicht?«
Obwohl sie sich alle Mühe gab, ruhig zu wirken, war sie schrecklich durcheinander. Sie hatte im Bett gelegen und einzuschlafen versucht. Wie in einem Kaleidoskop hatten sich die Erinnerungen in ihrem Kopf zu ständig neuen Mustern gefügt, als sich plötzlich die Erscheinung gezeigt hatte. Vor Schreck war sie geistig ins Trudeln geraten. Jetzt vermischten sich Fragmente von Vergangenheit und Gegenwart, bis sie beides nicht mehr auseinanderhalten konnte. Ihr Herz raste, während sie versuchte, eines vom anderen zu trennen.
»Mutter!« rief Rachel, die erst jetzt ins Zimmer gelaufen kam, weil sie ihre Schuhe auf der Treppe behindert hatten. »Ist alles in Ordnung?«
Rachel. Addie starrte sie verwirrt an. Liebe überschwemmte sie. Sie hob eine runzlige Hand, um ihrer Tochter das Haar aus dem heißen Gesicht zu streichen. »Rachel«, sagte sie fest, aber wesentlich freundlicher als jemals in den letzten Jahren. »Du gehörst längst ins Bett. Du wirst deine Stimme ruinieren, wenn du so lange aufbleibst. Was wird Mrs. Ackerman dazu sagen?«
Rachel blinzelte sie an. Sie hatte seit zehn Jahren keine Singstunde mehr bei Mrs. Ackerman gehabt, aber sie brachte es nicht übers Herz, Addie das zu sagen. Sie wollte diesen kurzen Augenblick des Friedens zwischen ihnen beiden keinesfalls zerstören. Trotzdem - in diesem Zimmer war etwas passiert, und sie mussten herausfinden, was.
»Mutter, warum hast du geschrien?« fragte sie vorsichtig.
Addie schaute sie vollkommen verständnislos an.
»Der Geist«, half Bryan ihr auf die Sprünge. »War es Wimsey?«
Rachel schoss ihm einen finsteren Blick zu. Warum fing er schon wieder mit diesen Gespenstergeschichten an? Wie sollte Addie ihr klares Bewusstsein behalten, wenn Bryan sie in ihren Halluzinationen bestärkte?
»Natürlich war es nicht Wimsey«, brummelte Addie ärgerlich. Sie wich langsam zurück und setzte sich auf ihr zerwühltes Bett. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wer Wimsey war. Am besten schob sie die Schuld auf etwas anderes. »Es war ein Geist. Es war das grässlichste Geschöpf, das mir je zu Gesicht gekommen ist, seit Rowena Mortonson diesen widerwärtigen kleinen chinesischen Hund gekauft hat. Was für ein abscheuliches kleines Ding! Man weiß nie, wo hinten und vorne ist.«
»Wer ist Rowena Mortonson?« erkundigte sich Bryan bei Rachel.
»Sie war unsere Nachbarin in Berkeley.«
»Sprich nicht von ihr, als wäre sie tot, Rachel. Sie ist bloß nach Los Angeles gefahren, um diesen weibischen Sohn von ihr zu besuchen«, wies Addie sie zurecht, die jetzt mit dem ausgefransten Ende ihres Zopfes spielte. »Mein Gott, dem Jungen sollte man ein Paket Stärke in die Unterhose schütten.«
»Wie hat er ausgesehen?« wollte Bryan wissen.
»Oh, er ähnelt Rowena, der arme unansehnliche Bub - Stupsnase, fliehendes Kinn, mausgraues Haar. Die Beschreibung passt übrigens auch auf den Hund.«
»Nein, Addie. Der Geist an Ihrem Fenster. Wie hat er ausgesehen?« fragte Bryan, was ihm einen weiteren bösen Blick von Rachel eintrug.
»Oooooh ...« Addie schauderte. »Kalkweiß mit schwarzen Augenhöhlen, und er machte grässliche , widerwärtige Geräusche.«
»Sie haben gesagt, der Geist wollte einbrechen?« fragte Bryan weiter.
»Das Fenster ist zerbrochen«, merkte Rachel an, der das Ganze ein bisschen unheimlich war, auch wenn sie das nicht zugeben wollte. Sie setzte sich neben ihre Mutter aufs Bett und nutzte Addies verwirrten Zustand aus, um einen Arm um die zerbrechlichen Schultern zu legen. Sie suchte den physischen
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