Rätselhafte Umarmung
Serena gestorben war ... Bis Rachel Lindquist aufgetaucht war.
»Verliebt«, murmelte Bryan abfällig, als er ins Haus zurückkehrte. Natürlich war er nicht verliebt. Er fühlte sich zu Rachel hingezogen, das ja. Jeder Mann mit Augen im Kopf würde sich zu Rachel hingezogen fühlen. Und natürlich hatte er Mitleid mit ihr. Das hätte jedes mitfühlende menschliche Wesen. Aber in sie verliebt? Es würde noch viel Zeit vergehen, ehe er bereit war, eine solche emotionale Verpflichtung einzugehen.
Mit der Absicht, sich für den Rest des Abends zu entschuldigen, machte er sich auf den Weg zum Esszimmer . Er hatte noch eine Menge zu lesen, über die Geschichte des Ortes und vor allem über die von Drake House. Wenn hier ein Wimsey gelebt hatte, dann wäre das höchstwahrscheinlich irgendwo verzeichnet. Und schließlich war er vor allem wegen Wimsey hier - um zu arbeiten, um seinen professionellen Instinkt wieder zu beleben, um wieder ins Gleis zu kommen. Sich zu verlieben stand nicht auf dem Programm.
Das Esszimmer war leer. Er war höchstens zehn Minuten auf der Veranda gewesen, trotzdem war der Tisch bereits abgeräumt und die Decke abgezogen worden. Das Zimmer sah so unberührt aus, als hätte das Abendessen gar nicht stattgefunden. Er wollte sich schon beglückwünschen und zu seinen Büchern davonstehlen, als er ein Geräusch aus der Küche hörte. Es klang wie ein leises, ersticktes Husten oder Schniefen ... oder Weinen.
Auf Zehenspitzen schlich er durch das Zimmer und drückte die Tür der Küche einen Spaltbreit auf. Rachel stand an der Spüle, in der sich die schmutzigen Teller im Seifenschaum stapelten, hatte die Arme vor die Brust verschränkt und eine Faust auf den Mund gepresst . Ihre nackten Schultern hoben sich steif, als sie abgehackt Luft holte und tapfer gegen die Tränen ankämpfte.
Bryan wurde es steinschwer ums Herz. Er musste all seine Kraft zusammennehmen, um nicht in die Küche zu rennen und sie in seine Arme zu schließen. Statt dessen trat er leise von der Tür zurück und begann, laut zu summen. Er setzte ein strahlendes Lächeln auf, zauberte sich die Falten von der Stirn und platzte dann durch die Tür in die Küche.
»Oha! Das ist doch ein Job für den Butler!« verkündete er fröhlich.
Rachel schluckte die letzte unvergossene Träne hinunter und räusperte sich. Sie beschloss , ihm zu antworten; aber sie drehte sich nicht zu ihm um, weil sie befürchtete, daß ihre Augen die überwältigenden Gefühle verrieten, die sie so mühsam unter Kontrolle gebracht hatte. »Wir haben aber keinen Butler.«
»Ich nehme an, ich könnte jetzt beleidigt sein, aber dazu bin ich viel zu gutmütig. Außerdem ist das wahrscheinlich Ansichtssache.«
»Es ist eine Geldsache«, stellte Rachel fest. »Und d avon habe ich nicht allzuviel.«
»Keine Angst«, beschwichtigte Bryan, während er sich neben ihr aufbaute und die schmutzigen Teller ansah. »Ich bin nicht teuer. Treiben Sie einfach ein, zwei Geister für mich auf, und schon freue ich mich wie ein Schneekönig. Wo ist Addie?"
Rachel lachte kurz und freudlos. »Sie wollte sich lieber in ihr Zimmer zurückziehen, als auch nur eine Minute in meiner verhassten Gesellschaft zu verbringen.« Die Tränen stiegen wieder auf, aber sie senkte den Kopf und kämpfte sie mit ungeheurer Willenskraft nieder.
»Ich verstehe«, sagte Bryan leise. Dann fällte er eine Entscheidung und machte eine wegwerfende Handbewegung zur Spüle hin. »Die Teller können warten. Kommen Sie mit.«
Rachel wollte ihm schon widersprechen, als er sie bei der Hand nahm und aus der Küche führte, aber sein entschlossen vorgerecktes Kinn verriet ihr, daß jeder Widerspruch nutzlos war. So sympathisch sich dieser Mann auch gab, manchmal war er störrischer als ein Maulesel. So folgte sie ihm also und sann darüber nach, wie fest und wie sanft zugleich sein Griff war.
Er brachte sie in sein Arbeitszimmer, einen männlich wirkenden Raum mit Kirschholztäfelung und einem Kamin. Nachdem sie sich auf einem lederbezogenen Zweisitzersofa niedergelassen hatte, kniete er vor dem Kamin und zündete das Feuerholz an, das bereits darin lag. Während heiße Flammen aus dem Holz züngelten, verschwand Bryan hinter dem Schreibtisch, zog eine Kristallkaraffe aus einer Schublade und füllte eine bernsteinfarbene Flüssigkeit in zwei der Gläser, die auf einer Ecke des Schreibtisches auf einem Silbertablett bereitstanden. Dann kehrte er zu ihr zurück und drückte ihr ein Glas in die Hand.
Rachel
Weitere Kostenlose Bücher