Rätselhafte Umarmung
schaltete den Selbstauslöser ein und lief vor, um sich mit schief sitzendem Barett hinter seine Freundinnen zu stellen. Hätte er an zwei Orten gleichzeitig sein können, dann hätte er sich objektiv betrachten können. Er war groß und athletisch, hatte ein markantes, ehrliches Gesicht und hellbraunes Haar, das meist ein bisschen zerzaust war, weil er dazu neigte, Nebensächlichkeiten wie Friseurtermine zu vergessen. Immer wieder mussten ihn die Mädchen an solche Dinge erinnern - Friseurbesuche, Verabredungen, Mittagessen. Was sollte er ohne sie bloß anfangen?
»Okay. Bitte lächeln«, befahl er. Seine Stimme klang ein bisschen rauer als sonst. »Es ist jeden Moment soweit. Jeden Moment.«
Alle lächelten tapfer und hielten gemeinsam den Atem an.
Plötzlich kippte die Kamera auf ihrem Stativ langsam seitwärts und zielte mit der Linse auf eine der weißen Gänse auf dem Rasen um den St.-Mary-See. Der Verschluss klickte, und der Film wurde weitergespult. Die Gans protestierte mit einem entrüsteten Schnattern und watschelte davon.
»Hoffentlich ist das kein Omen«, meinte Jayne stirnrunzelnd und begann, an ihrem Daumennagel zu knabbern.
»Da ist bloß eine Schraube locker«, erklärte Bryan und grub eine Münze aus seiner Hosentasche, womit er sie wieder festziehen wollte.
»Bei Jayne oder bei der Kamera?« wollte Alaina wissen. Ihre kühlen, blauen Augen funkelten boshaft.
Jayne schnitt ihr eine Grimasse. »Sehr witzig, Alaina.«
»Ich glaube, das ist ein Zeichen dafür, daß Bryan einen neuen Ständer braucht«, sagte Faith.
»Jessica Porter ist da ganz anderer Meinung«, bemerkte Alaina ironisch.
Bryan spürte, wie er bis unter die Haarwurzeln rot wurde, als die Mädchen losprusteten. Er hatte zwar mit keiner von den dreien eine Affäre gehabt, aber ansonsten war er durchaus aktiv und wurde dafür gnadenlos von den Mädchen aufgezogen.
Er war bestimmt kein Masochist, aber diese Neckereien würde er vermissen. Die Mädchen halfen ihm, die Dinge nicht überzubewerten. Er hatte die Neigung, sich Hals über Kopf zu verlieben. Die Romanzen kamen und gingen in seinem Leben, erstrahlten und verloschen wie Sternschnuppen, aber Jayne und Faith und Alaina waren immer für ihn da, um ihn zu bemitleiden und zu trösten ... und um spitze Bemerkungen zu machen.
»Wenn ihr ein Zeichen sehen wollt, dann dreht euch mal um«, riet er, während er unnötig lange am Stativ der Kamera herumbastelte.
Die Mädchen drehten sich wie auf Kommando um und erblickten einen Regenbogen, der sich majestätisch über der goldenen Kuppel des Verwaltungsgebäudes in den Morgenhimmel erhob.
»O wie schön«, seufzte Faith.
»Symbolisch«, hauchte Jayne.
»Durch Regentropfen diffundierendes Licht«, stellte Alaina kategorisch fest und verschränkte die Arme vor der Brust.
Bryan richtete sich vor der Kamera auf, schaute sie grimmig an und reckte energisch das Kinn vor. »Regenbogen sind etwas sehr Magisches«, erklärte er todernst. »Da kannst du jeden Kobold fragen. Es würde dir guttun, ein bisschen an Magie zu glauben, Alaina.«
Alainas sinnlicher Mund verzog sich nach unten. »Fotografier uns endlich, Hennessy.«
Bryan achtete gar nicht auf sie. Seine warmen, blauen Augen wirkten plötzlich verträumt, als er zu den weichen Farben aufsah, die den Himmel bunt färbten. »Von heute an wird jeder von uns seinem eigenen Regenbogen nachjagen. Ich würde zu gerne wissen, wohin sie uns führen werden.«
Jeder rezitierte die Standardantwort, die sie seit Monaten ihren Fakultäten, Freunden und Familien gaben. Jayne wollte in Hollywood ihr Glück als Drehbuchautorin und Regisseurin versuchen. Faith hatte man eine Stellung in der Geschäftsleitung eines Betriebes in Cincinnatti angeboten. Alaina würde noch an der Universität bleiben, um ihr Anwaltsdiplom zu machen. Bryan hatte in Purdue einen Studienplatz für ein Aufbaustudium im Fach Parapsychologie bekommen.
»Das wird passieren, wenn es nach unserem Verstand geht«, sagte er, zog sein Barett ab und fuhr sich mit der Hand durchs Haar, so wie immer, wenn er sehr nachdenklich wurde. »Ich frage mich, was passiert, wenn wir uns von unseren Herzen leiten lassen.«
Drei Antworten auf diese Frage kannte er. Er war der Vertraute, dem die Mädchen ihre geheimsten Wünsche verrieten. Er war der einzige Mensch auf Erden, der wusste , daß Alaina sich mehr als alles andere eine feste, beständige Partnerschaft wünschte. Er wusste , daß Faith von einem einfachen Leben mit Mann und
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