Räuberleben
Gesichtern spiegelte. Weit herum war der Glutschein über der Stadt zu sehen. Es blieb auf unserem Lagerplatz warm wie am Tag. Hin und wieder trieb der Wind Rauchfahnen herbei und Aschefetzen, die das rot beschienene Gras sprenkelten. Dazu die halblauten Gespräche ringsum, Weinen, Jammern, Husten. Hätte man unter solchen Umständen auch nur eine Minute schlafen können? Ich lag neben meiner Frau, die Unverständliches vor sich hin murmelte, Gebete vielleicht; es stellte sich heraus, dass sie allen Ernstes glaubte, der große Brand sei eine Strafe Gottes für die Sünden der Sulzer Bürger, und mir wurde erneut bewusst, wie schlecht ich Caroline kenne, obwohl ich mit ihr, meiner ehemaligen Zimmerwirtin, nun schon sieben Jahre verheiratet bin. Unversehens fiel mir ein, dass ein paar Monate vor unserer Hochzeit hier in Sulz der Räuber Hannikel mit drei Spießgesellen hingerichtet wurde. Ich hatte - wie Sie sich vielleicht erinnern - am Schicksal von Hannikels kleinem Sohn einigen Anteil genommen. Nach mehreren missglückten Versuchen ist es ihm gelungen, aus dem Ludwigsburger Zucht- und Waisenhaus zu fliehen; seither blieb er meines Wissens verschollen. Ich bin nicht abergläubisch, aber der Gedanke, dass es zwischen Hinrichtung und Brand einen Zusammenhang geben könnte, ließ mich nicht los, und ich dachte an das Gerücht, Hannikel habe die Stadt und ihre Bewohner vor seinem Tod in der Zigeunersprache verflucht. Ein böswilliges und dummes Gerücht, gewiss, doch wer nachts auf sein abgebranntes Zuhause blickt, wird in solchen Dingen unsicher.
Irgendwann in der Morgendämmerung ließ mich Oberamtmann Schäffer suchen. Der Amtsdiener Roth, der ohnehin den Kopf stets wie ein witternder Hund vorstreckt, spürte mich unter den Schlafenden und Wachenden am Flussufer auf, und ich musste ihm zum provisorischen Amtssitz folgen, zu dem Schäffer das leere Erdgeschoss in einem der unversehrten Vorstadthäuser erklärt hatte. Das Feuer sei am Abflauen, sagte Roth auf dem Weg, ein wenig freundlicher als sonst; zu den Brandstätten vordringen könne man noch nicht, man würde sich dabei verbrennen oder ersticken.
Die Silhouette der inneren Stadt bestand zur Hauptsache aus rauchenden Ruinen, ein Bild wie aus der Apokalypse. Der Oberamtmann, mit aschebestreuter Perücke und schmutzigem Rock, sah übernächtigt aus, war aber voller ungestümer Energie, wie immer, wenn er unter Druck gerät. Ich musste sogleich Hilfsgesuche an alle möglichen Stellen verfassen, an Seine herzogliche Durchlaucht, an die Rentkammer. Die umliegenden Gemeinden forderte Schäffer auf, so rasch wie möglich Sammlungen für den Wiederaufbau von Sulz zu veranstalten; und all diese Briefe, die ich in größter Eile auf schlechtes Papier schrieb, wurden mit Eilboten verschickt. Zwischendurch erteilte Schäffer Befehle für Lösch- und Räumungsarbeiten und ließ ein erstes Register der abgebrannten Gebäude erstellen. Schon gegen Mittag zeigte sich, dass mindestens 194 Häuser zerstört, das Brucktor und Teile der Stadtmauer eingestürzt waren. Erstaunlicherweise - und gewiss, weil der Brand tagsüber ausgebrochen war - hatten wir keine Toten zu beklagen. Doch der materielle Schaden war unermesslich, das Jammern allerorts griff dem fühllosesten Menschen ans Herz. Für die nunmehr Obdachlosen wurden Notunterkünfte gesucht, und im Lauf des Tages entstanden bereits Bretterhütten auf ungenutztem Gelände. Bei den Vorstadtbewohnern wurden Familien mit kleinen Kindern einquartiert, die am meisten Schutz benötigten. Caroline und ich, die wir ja, wie die meisten, fast den gesamten Hausrat verloren hatten, bezogen ein Zimmer beim Glaser Silberrad, direkt neben dem provisorischen Amtssitz, in dem Schäffer auch seine Familie untergebracht hatte. So war ich, wie schon so oft, rund um die Uhr für ihn verfügbar.
In der nächsten Nacht kühlten die Trümmer so weit ab, dass man sich in die Häuser hineinwagen konnte. Als Erste taten das skrupellose Diebe. Sie brachen in Keller ein, stahlen Vorräte, betranken sich am Wein; sie suchten wohl auch Geld und Schmuck. In der Dunkelheit kam es zu Scharmützeln mit der Stadtwache, sogar Schüsse sollen gefallen sein. Verhaftungen gab es keine, trotz der großen Empörung unter den Ausgebrannten. So wissen wir bis zum heutigen Tag nicht, wer sich an den Plünderungen beteiligte. Muss es uns nicht bestürzen, dass das Räuberische im Menschen unter solchen Umständen so rasch zum Vorschein kommt?
Es geht nun gegen
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