Räuberleben
ist in diesem einen Jahr in Haft! Die Baba sitzt am Boden, ihren Rock um sich gebreitet, man lässt sie sitzen, weil sie schon so alt ist, ihre Augen sind halb blind geworden, dauernd murmelt sie vor sich hin. Dieterle möchte, dass die Daj zu ihm schaut. Doch die Daj, von der Bremin gehalten, sieht nirgends hin, ihr Gesicht, in das die schwarzen und grauen Strähnen fallen, ist leer und stumpf. Urschel weint, und darum weint ihre Kleine mit. Der merkwürdige Mann, der Schreiber, der ein wenig gebückt geht, hat sich bisher nicht gezeigt. Er hat Dieterle das weiße Leinenhemd geschenkt, das er auch jetzt trägt. Aber es ist nutzlos, sich von diesem Mann noch etwas zu erhoffen, am Lauf der Dinge kann er nichts ändern, er ist bloß ein Schreiber, da müsste Karl Herzog wie der Sturmwind heranreiten und den Dad begnadigen, aus Dankbarkeit, dass er den Juden geschadet hat und katholisch ist wie er selbst. Karl Herzog bleibt aber lieber in Stuttgart und isst jeden Tag gebratenes Huhn. Bei Hinrichtungen sei er nie zugegen, hat Bastardi gesagt, ihm werde schlecht davon und seiner Fürstin noch mehr.
Jetzt rumpeln zwei Pferdewagen, von Husaren begleitet, die Straße herauf, die Fuhrknechte lassen die Peitsche knallen, die Wächter lachen laut, und schneller fliegen die Wolken über die Häuser hinweg, viel zu schnell läuft jetzt alles ab. Die beiden Gruppen werden zu den Gefangenenwagen geführt, sie klettern hinauf, halten sich am Geländer fest. Die Baba muss hinaufgehoben werden wie eine Traglast. Ein Hochgestellter in schöner Kleidung - nein, nicht der Schreiber - ist unterdessen erschienen, redet mit den Wächtern, einer, der Gemütliche mit den Warzen auf der Nase, kommt zum Männerwagen, fordert Dieterle auf, wieder herunterzusteigen. »Du bist zu jung für diese Gesellschaft, du gehörst zu den Weibern, die können dich besser trösten, wenn es sein muss.« Dieterle sträubt sich erst. Drüben, auf dem anderen Wagen, wird ihm zu viel geweint und gejammert. »Ich bin alt genug«, sagt er und denkt: Warum schieben sie mich immer hin und her? Aber dann ist er doch halbwegs froh, dass Bastardi ihm sagt, er solle gehorchen, die Kugeln säßen den Husaren locker im Lauf. Und als er bei der Daj ist, die ihm abwesend über den Kopf streicht, und Dennele ihn abküsst, schämt er sich ein wenig, aber es lindert doch den inwendigen Schmerz. Anlehnen an die Daj möchte er sich, an ihrem Brusttuch schnuppern wie früher, denn da riecht es nach getrockneten Beeren und Moos. Vor die Baba kauert er sich hin, er grüßt sie, er sagt, wer er ist, er nimmt ihre kalten runzligen Hände in seine. Sie könnte ihm jetzt das Märchen erzählen, das er so oft hören wollte, das Märchen, in dem der verfolgte Junge sich unter eine Tanne stellt und sie um Hilfe bittet. Er konnte nicht oft genug hören, wie dann die Tanne ihre Aste über den Jungen senkt, so dass er dahinter verborgen bleibt wie in einem Dickicht. Sogar als die Schergen des Königs eine Armlänge vor ihm stehen, sehen sie ihn nicht, trotz des Hundegebells. Erzähl es mir noch mal, Baba, möchte er sagen und sagt es nicht, weil sie so verloren und uralt aussieht.
Die Wagen fahren hinunter zum Marktplatz, der voll ist von Leuten, Schulter an Schulter stehen sie, schwatzend und lachend. Der kleine Hannes lacht mit ihnen, hüpft auf und ab; Theres kneift ihm mit einem mahnenden Zuruf ins Ohr, da verbirgt er sein Gesicht am Rock der Mutter. Die Soldaten bahnen für die Wagen einen Weg durch die Menge und halten beim Podest an, das vor dem Rathaus errichtet worden ist. Dort oben sitzt, von Soldaten bewacht, auf einer langen Bank das Gericht, es stehen noch andere da, unter ihnen einer mit einem Stab und ein zweiter mit schwarzem Hut. Nun werden die vier, die man töten wird, herbeigeführt, sie tragen Büßerhemden, die Haare hat man ihnen geschoren, die Ketten abgenommen, nur die Hände sind noch zusammengebunden. Fast erkennt Dieterle den Dad in diesem Aufzug nicht. Zwanzig Schritte trennen ihn von ihm, doch er müsste fliegen können, um bei ihm zu sein, und als er bloß den Arm hebt, um dem Dad zu winken, bekommt er vom Soldaten neben ihm mit dem Säbel einen Schlag auf die Schulter. Schäffer - ihn erkennt man sogleich - betritt das Podest. Bei der Treppe, in Schäffers Nähe, steht der Schreiber und sucht wieder Dieterles Blick. Der tut so, als sehe er ihn nicht. Schäffer aber, einmal dem Gericht, dann wieder der verstummenden Menge zugewandt, hält eine Rede, die sich
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