RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
nicht eine unerwartete Katastrophe passierte, mussten der Satz und damit das Match mir gehören.
Aber in diesem Stadium waren solche Überlegungen nicht angebracht. Ich bemühte mich, die Vorstellungen von einem Sieg beiseite zu schieben, die sich mir aufdrängten. Ich versuchte, das, wie ich wusste, Richtige zu tun, nämlich nur an den nächsten Punkt zu denken und alles andere außer Acht zu lassen. Aber das gelang mir nicht ganz, und als ich zum ersten Aufschlag dieses Spiels ansetzte, hatte ich schlicht und ergreifend Angst.
Sie wirkte sich unmittelbar auf meinen Aufschlag aus. Hatte dieser bisher wie ein Uhrwerk funktioniert, so hakte er plötzlich. Mein Vertrauen in meine Grundschläge brach zusammen, meine Bewegungen waren völlig falsch. Ich spielte wesentlich defensiver und strampelte mich kopflos ab. Mein Körper verspannte sich, mein Arm wurde steif. Das Wissen, dass die US Open praktisch mir gehören würden, wenn ich dieses Spiel gewann und 5:1 in Führung ging, war nicht gerade hilfreich. Ich stand kurz davor, etwas so Enormes zu erreichen, dass ich mich fühlte, als ob ich vor einem gigantischen Monster stünde, das mich zu schlucken drohte. Ich erstarrte, zumindest beinahe.
Den ersten Aufschlag brachte ich ins Feld. Es war ein sicherer Prozentaufschlag ohne Biss, aber ausreichend, um einen Ballwechsel in Gang zu bringen und das Risiko eines Doppelfehlers zu bannen, was an sich schon eine Leistung war. Zum Glück war Djokovic moralisch angeschlagen und beendete den Ballwechsel mit einem unnötig langen Schlag. Den nächsten Punkt verlor ich durch einen verpatzten Vorhand-Winner an der Linie. Bislang hatte ich in diesem Satz meine Aufschläge alle problemlos durchgebracht. Aber dieses Aufschlagspiel war die reinste Tortur. Es kam zum Einstand, und das noch weitere zwei Mal. Ich wehrte einen Breakpunkt ab. Plötzlich gelangen ihm zwei vernichtende Winner. Aber er war unbeständig: Auf jeden donnernden Drive folgte ein unnötiger Fehler. Noch immer hielt ich die Stellung und beging keine Flüchtigkeitsfehler. Beim dritten Einstand lief er nach einer kraftvollen Vorhand in meine Rückhandecke ans Netz. Ich musste beinahe auf die Knie gehen, um den Ball noch zu erwischen, schaffte es aber, ihm die gesamte Kraft beider Arme mitzugeben und ihn in einen Cross-Winner zu verwandeln. Irgendwie hatte mein Instinkt meine Nerven besiegt und mir zu einem meiner besten Schläge des Matchs verholfen.
Beim nächsten Punkt erwies sich mein Aufschlag als zu gut für ihn. Sein Return geriet zu lang, und es war vorbei. Ich führte 5:1.
Die Spannung fiel von mir ab. Nun hatte er Aufschlag, und ich rechnete nicht damit, dieses Match zu gewinnen. Allerdings wollte ich das nächste Spiel holen. Ich empfand so etwas wie die Ruhe nach dem Sturm und spielte in dieser Phase wie im Halbschlaf, worauf ich nicht unbedingt stolz bin. Er gewann zu 30 mit einem spitzwinkligen Volley-Stoppball, bei dem ich nicht einmal den Versuch unternahm, hinzulaufen.
Als ich beim Stand von 5:2 Aufschlag zum Matchgewinn hatte, kehrte meine Nervosität zurück. Sie ist immer da, ebenso schwer zu besiegen wie der Gegner auf der anderen Seite des Netzes, und ebenso wie er gewinnt sie manchmal die Oberhand, manchmal auch nicht. Im Augenblick war sie das größte Hindernis zwischen mir und dem Sieg. Ich schaute zu den vertrauten Gesichtern meines Teams und meiner Familie, die mich aufgeregt anspornten. Innerlich wollte ich unbedingt für sie, für uns alle gewinnen, aber meine Miene – eine gute Miene – verriet nichts.
Allmählich wurden alle nervös. Djokovics Aufschlagreturn ging ins Aus, und beim nächsten Ballwechsel erklärte der Linienrichter einen seiner Bälle für zu lang, der aber eindeutig auf der Linie gelandet war. Wir mussten den Ballwechsel wiederholen. Da es nun ums Ganze ging, war die Änderung der Schiedsrichterentscheidung nicht so gut für mich. Ich musste sie verdrängen und mich ermahnen, konstant zu spielen, ohne clevere Schachzüge, und Djokovic viel Raum für Fehler zu geben.
Beim zweiten Ballwechsel versuchte er einen weiteren Stoppball. Diesmal lief ich zum Ball und erwischte ihn. Er erreichte den Volley, worauf ich den Ball, mit der Nase beinahe am Netz, direkt zurückschlug, und den Punkt holte: 30:0. Die Zuschauer konnten bei diesem Ballwechsel wie schon bei vielen Ballwechseln zuvor nicht ruhig bleiben und drehten förmlich durch – Toni mehr als alle anderen. Als ich aufschaute, sah ich ihn links von mir. Er war
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