RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
aufgesprungen, ballte die Fäuste und versuchte, nicht in Tränen auszubrechen. Ich musste weinen. Mit dem Handtuch wischte ich mir die Tränen ab. Verschwommen sah ich ihn vor mir, den Sieg. Ich wusste, dass ich ihn mir nicht vorstellen durfte, aber ich sah ihn.
Allerdings doch noch nicht ganz. Beim nächsten Ballwechsel hatte Djokovic einen glücklichen Netzroller, der auf meiner Seite vom Netz tropfte. Innerlich fluchte ich. Ich hätte 40:0 vorn liegen und den nächsten Ball in aller Ruhe in dem Wissen spielen können, dass alles vorbei war. Stattdessen gab es noch mehr Stress. Er holte auf 30 beide auf, nachdem ich es mit einem übereilten Schlag versäumte, einen Vorhand-Winner zu versuchen. Mein Herz raste, meine Nervosität rang mit der Freude. Nur noch zwei Punkte, dann hätte ich es geschafft. Ich bemühte mich angestrengt, fokussiert zu bleiben, und sagte mir: »Bleib locker, keine Risiken, halte den Ball einfach im Spiel.«
Diesmal hielt ich mich an meinen Plan. Der Ballwechsel war lang und ging über 15 Schläge. Wir tauschten ein Dutzend harter Grundlinienschläge aus, dann kam er nach einem weiten Drive auf meine Rückhandecke ans Netz. Dieses Mal hatte ich Glück. Der Ball rollte über den Netzrand, und als er es schaffte, ihn zurückzuschlagen, lief ich diagonal über den Platz und riss ihn mit einer Vorhand hoch. Er rechnete mit einem Cross von mir. Aber ich spielte an der Linie entlang, und der starke Topspin ließ den Ball einwärts drehen. Knapp. Djokovic konnte es nicht fassen. Er legte Einspruch ein, aber das half ihm nichts. Die Aufnahme zeigte, dass der Ball um Haaresbreite im Feld gelandet war und die Außenkante der Grundlinie gestreift hatte. Djokovic ging mit gesenktem Kopf in die Hocke, ein Bild der Niederlage. Toni, Titín und mein Vater ballten die Fäuste und schrieen: »Vamos!« Tuts, meine Mutter und meine Schwester applaudierten lachend vor Freude. María Francisca hatte die Hände an den Kopf gelegt, als könne sie nicht fassen, was gerade geschah.
Matchball. Championship-Ball. Der alles entscheidende Ball. Ich schaute zu meinem Team hinauf, als wolle ich mir bei ihnen nochmals Zuspruch und ein gewisses Maß an Ruhe holen. Wieder rang ich mit den Tränen und schlug auf. Weit auf die Rückhand, wie geplant. Der Ballwechsel ging über sechs Schläge. Beim sechsten schlug er den Ball weit, sehr weit und ins Aus. Meine Beine gaben nach, ich sank zu Boden, noch bevor der Ball gelandet war, und blieb mit dem Gesicht nach unten schluchzend und bebend liegen.
So zusammenzubrechen kann man nicht planen. Mir war gar nicht bewusst, was ich tat. Mein Verstand setzte aus, nackte Emotionen gewannen die Oberhand, und als die Spannung schlagartig aus mir wich, gab auch mein Körper nach und konnte sein Gewicht nicht mehr tragen. Als ob ich aus einer Ohmacht erwachte, merkte ich plötzlich, dass ich inmitten aufbrandenden Lärms ausgestreckt auf dem Boden lag, und erkannte, was ich vollbracht hatte. Mit 24 Jahren hatte ich die vier Grand Slams gewonnen. Ich hatte Geschichte geschrieben und mehr erreicht, als ich je zu träumen gewagt hätte, etwas, was mein Leben lang dauern würde und niemand mir mehr nehmen konnte. Was auch immer geschehen mochte, eines Tages würde ich das Tennisspielen als jemand an den Nagel hängen, der in diesem Sport eine bedeutende Rolle gespielt hat, als einer der Besten und hoffentlich als einer, den man für eine gute Persönlichkeit hielt – auch daran dachte ich im Augenblick meines Triumphs.
Novak Djokovic – »Nole«, wie seine Fans, Freunde, Verwandten und auch ich ihn nennen – erfüllt das alles schon jetzt. In einem für ihn so bitteren Moment besaß er die Größe, nicht am Netz auf mich zu warten, sondern auf meine Seite herüberzukommen, mich zu umarmen und mir zu gratulieren. Ich ging zu meinem Stuhl, ließ meinen Schläger fallen und kehrte mit hoch gereckten Fäusten zurück in die Arena. Der Jubel der Menge brandete über mich hinweg, ich sank wieder schluchzend auf die Knie, legte meine Stirn auf den harten Platzbelag und blieb so hocken. So viel war in dieses Match geflossen, und es gab so viel, wofür ich dankbar sein musste.
Bei der Siegerehrung sprach Nole als Erster, und wieder bewies er große Klasse, bedachte mich mit viel Lob und dankte abwesenden Freunden. Er erwies sich als äußerst würdiger Verlierer und als Zierde unseres Sports. Als ich an die Reihe kam, dankte ich meiner Familie und meinem Team, die vor mir saßen, und erinnerte
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