Raine der Wagemutige
Darum also wehrte sich der Engländer so heftig. Er glaubte, er wäre auf dem Weg zu seiner Hinrichtung. Er dachte, sie badeten ihn, damit sie ihm, nachdem er exekutiert worden war, saubere Kleider ausziehen konnten statt solcher, die nach Gefängnis stanken. So würden sie einen viel besseren Preis für sie erzielen. Keine schlechte Idee.
Es war beinahe komisch, und Armand, der selten genug das Vergnügen hatte, die Selbstbeherrschung dieses besonderen Gefangenen zu erschüttern, genoss die Erfahrung. Er bedeutete Pierre, den Engländer wieder zu Bewusstsein zu bringen.
Mit einem Grunzen hievte Pierre ihn über den Rand des Troges und tauchte seinen Kopf in das kalte Wasser. Der Engländer schnellte in die Höhe, spuckte Wasser, hustete
- und schlug um sich. Wasser rann ihm über die sich heftig hebende Brust und hinterließ auf der schmutzbedeckten Haut helle Spuren. Die Muskeln und Sehnen an seinem schlanken Körper schwollen und traten hervor. Sogar in der kühlen Frühlingsluft stand den Wärtern, die ihn zu bändigen suchten, der Schweiß auf der Stirn.
Armand musterte ihn besorgt. Der Gefangene war als Jüngling inhaftiert worden, aber die Jahre hatten ihn zum Manne reifen lassen, einem Mann, der den Entbehrungen des Gefängnislebens zum Trotz einen beeindruckenden Körperbau entwickelt hatte.
Das war die Quittung, die man dafür erhielt, wenn man „politische Gefangene“ verhätschelte, indem man ihnen Fleisch, Decken und einen Raum in den oberen Stockwerken des Gefängnisses statt in den stinkenden unterirdischen Verliesen zugestand, wo die meisten anderen Insassen gefangen gehalten wurden. Aber Armands Vorgesetzter bestand in Erwartung eines möglichen Lösegeldes darauf, politische Gefangene am Leben zu halten.
Armand hielt das für pure Verschwendung - und möglicherweise war es sogar gefährlich. Sollte der Engländer jemals zusätzlich zu seiner hoch gewachsenen, breitschultrigen Gestalt an Gewicht gewinnen. . . Mon Dieu, sogar den kräftigsten unter den Wärtern würde es schwer fallen, ihn zu bezwingen. Es würde ohnehin nicht mehr lange dauern, bis einer der Kerkerwächter die Geduld verlor und das Gesicht des Gefangenen mit seinen Fäusten zu bearbeiten begänne. Madame mochte verunstaltete Gesichter nicht. Armand, dessen Belustigung sich bei diesem Gedanken verflüchtigte, trat zu den miteinander ringenden Männern.
„Merde!" rief er. „Du kämpfst um deine Tugend wie eine Nonne!“
„Meine Tugend!“ keuchte der Engländer, und die Heftigkeit, mit der er sich den Wärtern widersetzte, ließ nach, während er seine Aufmerksamkeit auf Armands Worte richtete.
„Oui. Sie wird dich jetzt wahrscheinlich ohnehin nicht mehr auswählen“, erwiderte Armand verächtlich.
„Sie?“
„Madame Noir.“
Der Mann hörte ganz auf, sich zu wehren, doch nichts von der Spannung wich aus seinem Körper. Aus zu Schlitzen verengten Augen betrachtete er Armand. „Sie hat nach mir verlangt? Ausdrücklich?“
„Non. Sie hat Fremde verlangt. Und du, mon ami, bist einer der wenigen Fremden, die hier noch übrig sind. Denk nicht einmal daran, sie wieder dazu zu bringen, dich zu übergehen. Wenn du sie dieses Mal anspuckst, dann schwöre ich, werde ich dafür sorgen, dass du nie wieder für irgendeine andere Frau von Nutzen sein wirst.“
„Jetzt ist er auch nicht gerade von Nutzen für Frauen“, fügte Pierre hämisch hinzu. „Am besten nimmst du, was Madame dir anbietet, cretin. Es könnte deine letzte Chance sein, je eine Frau zu nehmen. Auch wenn die Gerüchte sagen, dass Madame das ,Nehmen' besorgt.“ Er brach in grölendes Gelächter aus.
Der Engländer schenkte seinen Worten keine Beachtung.
Armand schaute ihn nachdenklich an. „Sollte Madame dich wählen, bilde dir bloß nicht ein, du könntest fliehen“, warnte er. „Kein Mann ist jemals nach einer ihrer Nächte der Ausschweifungen entkommen. “
Weiße Zähne blitzten zwischen den schönen Lippen des Gefangenen auf. „Ich?“ Er schüttelte den Kopf. „Non. Ich möchte ganz einfach meinen Vorteil aus der Situation ziehen, so wie Pierre hier es vorgeschlagen hat.“
Armand schnaubte ungläubig. „Vor ein paar Monaten hast du darüber aber nicht so gedacht, als sie dich genommen hätte.“
Das Lächeln verschwand. „Vor ein paar Monaten hegte ich auch noch die Hoffnung, dass mein Vater mich auslösen würde, so wie er es mit meinem Bruder getan hat. Da glaubte ich noch . . Unvermittelt brach er ab. Nach einer kurzen Pause zuckte
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