Raketenmänner (German Edition)
Wenzel.
Aber schon der Laden hatte ja keine Chance.
Sagte die wetterfühlige Mel.
Eine halbe Stunde nach der vereinbarten Zeit hielt gegenüber ein Mercedes, der ungefähr aus dem Jahr stammte, in dem Wenzel auf die Welt gekommen war. Ein kleiner Mann mit Kinnbart stieg aus und tat etwas, das Wenzel schon lange nicht mehr gesehen hatte: Er schloss seinen Wagen ab. Normalerweise drückte man nur flüchtig im Weggehen auf den Funkschlüssel.
Es gelang Wenzel, seine Drei-Schritt-Patrouille zu stoppen.
Er tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn.
Der Mann trug einen hellen Bogart-Trench, darunter ein marineblaues Sakko mit goldenen Knöpfen und ein blau-weiß kariertes Hemd. Auf seiner etwas klobigen Nase saß eine dickrandige Brille. Die Augen dahinter hatten Halbmast geflaggt, und das offenbar seit Jahren.
»Sie sind früh dran«, sagte er statt einer Begrüßung.
»Ich stehe hier seit einer halben Stunde!«, entgegnete Wenzel.
»Selbst schuld«, brummte Günther und schloss den Laden auf.
Wenzel wurde von einem Geruch empfangen, der ungefähr so muffig war wie Günthers Laune. Es war dunkel, aber das änderte sich, als Günther den Lichtschalter fand. »Mein halbes Leben habe ich hier verbracht«, brummte er, »aber den Lichtschalter muss ich immer noch suchen.«
Wenzel war gleich positiv überrascht. Das schmale, lange Ladenlokal hatte eine klare Ordnung: Rechts und links standen, genau wie in der Mitte, Plattenkisten in zwei Stockwerken. An den Wänden fanden sich je drei Reihen Metallschienen, in denen die Neuheiten eingeschoben werden konnten. In den Ecken hingen unter der Decke vier mattschwarze Lautsprecherboxen. An der Stirnseite des Raumes war ein erhöhter Tresen, mit drei Halterungen für Kopfhörer. Links davon führte eine Treppe nach unten. Die Luft schmeckte nach Staub. Wenzel ging drei Schritte vor, machte die Wende und ging drei Schritte zurück.
»Alles in Ordnung?«, wollte Günther wissen.
Wenzel tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. Günther zog die Augenbrauen hoch.
»Das ist nicht so gemeint«, sagte Wenzel. »Das passiert mir immer, wenn ich nervös bin.«
»Du bist nervös?«
»Ich bin eigentlich immer nervös, aber heute und hier und jetzt ganz besonders. Das ist so eine Weggabelung in meinem Leben.«
Günther blickte ihn lange an und sagte schließlich: » CD s sind im Keller.«
Da gehören sie auch hin, dachte Wenzel.
»Und das alles wollen Sie verkaufen?«, fragte er.
»Muss«, sagte Günther und bewegte dabei kaum die Lippen.
»Meine Freundin Mel hält mich für bescheuert«, sagte Wenzel.
Auf Günthers Stirn zeigten sich canyontiefe Hautschluchten. »Mel? War sie bei den Scheißgirls oder was?«
»Nein, aber immerhin kommt sie aus England.« Wenzel tippte sich an die Stirn.
»Hören Sie mal«, sagte Günther, »ich kann dich nicht siezen, du bist doch kaum älter als mein Auto. Ich will dir nichts vormachen. Das hier ist keine Goldgrube mehr. Wenn mir der Laden nicht gehört hätte, also abbezahlt und alles, hätte ich schon viel früher dichtmachen müssen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was einer wie du damit will. Deinesgleichen kauft doch gar keine Platten mehr. Und wo hast du überhaupt das Geld her?«
Wenzel tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn.
»Von meinem Großvater.«
»Weiß er, was du damit machen willst?«
»Allerdings!«
Günther zog die Nase hoch und schüttelte den Kopf. »Sieh dir erst mal den Keller an«, sagte er und ging zu der Treppe im hinteren Teil des Ladens. Auf dem Weg dorthin blieb er plötzlich stehen, drehte sich um, fragte: »Geht’s? Oder willst du erst noch mal ein paar Schritte zurück?«
»Wenn ich ein klares Ziel habe, geht es.«
Günther nickte. »Wir alle brauchen Ziele.«
An der Treppe war ein Lichtschalter. Günther drückte drauf, und unten gingen flackernd alte Leuchtstoffröhren an.
Bevor er hinunterging, warf Wenzel einen Blick hinter den Tresen. Da stand sogar noch ein alter Dual-Plattenspieler samt Verstärker.
Der Keller war niedrig und noch etwas muffiger als die obere Etage. Die Kunststoff-Ständer für die CD s wirkten, als wollten sie richtige Plattenständer werden, wenn sie erst mal groß waren. Auch hier gab es einen kleinen Tresen mit gerade mal einer einzigen Kopfhörerhalterung. Außerdem stand mitten im Raum ein altes grünes Sofa.
»Auf dem da haben wir unsere Tochter gemacht«, sagte Günther. »In der Mittagspause, als meine Frau noch mitgearbeitet hat. Nur hatten wir oben
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