Ramses 4 - Die Herrin von Abu Simbel
reglos und unwandelbar, im goldenen Sand der nubischen Wüste.
Vom Ufer her winkten Setaou und Lotos, und alle Handwerker um sie herum taten es ihnen gleich. Einige wichen indes zurück, als Schlächter die Laufplanken betrat, um an Land zu gehen, doch die erhabene Gestalt des Königs zerstreute ihre Ängste. Die Raubkatze hielt sich zu seiner Rechten und der alte gelbe Hund zu seiner Linken.
Noch nie hatte Ramses einen Ausdruck so großer Zufriedenheit auf Setaous Gesicht gesehen.
«Du kannst stolz auf dich sein», sagte der Pharao, während er seinen Freund umarmte.
«Beglückwünsche nicht mich, sondern die Baumeister und Bildhauer. Ich habe sie nur ermuntert, ein Werk zu schaffen, das deiner würdig ist.»
«Würdig der geheimnisvollen Mächte, die diesem Tempel innewohnen, Setaou.»
Als Nefertari von der Laufplanke stieg, strauchelte sie. Lotos stützte sie und merkte, daß die Königin einen Schwächeanfall hatte.
«Gehen wir weiter», drängte Nefertari. «Mir fehlt nichts.»
«Aber, Majestät…»
«Verderben wir nicht die Freude der Einweihung, Lotos.»
«Ich verfüge über ein Mittel, das vielleicht deine Müdigkeit vertreibt.»
Der sonst so rauhe Setaou wußte kaum, wie er sich Nefertari gegenüber verhalten sollte, deren Schönheit ihn in ihren Bann schlug. Gerührt verneigte er sich.
«Majestät… ich wollte sagen…»
«Erwecken wir Abu Simbel zum Leben, Setaou. Ich möchte, daß seine Geburtsstunde unvergeßlich wird.»
Alle Häuptlinge der nubischen Stämme waren eingeladen worden, an den Feierlichkeiten zur Einweihung der Tempel teilzunehmen. Sie hatten ihre schönsten Halsketten und neue Schurze angelegt und küßten Ramses und Nefertari die Füße, ehe sie ein Siegeslied anstimmten, das zum bestirnten Himmel emporstieg.
In dieser Nacht gab es mehr köstliche Speisen als Sandkörner am Ufer, mehr Stücke gebratenen Ochsenfleisches als Blumen in den königlichen Gärten sowie unzählige Brote und Kuchen.
Der Wein floß gleich den Fluten der Überschwemmung. Auf den unter freiem Himmel errichteten Altären wurden Weihrauch und andere wohlriechende Harze verbrannt. So wie es im hohen Norden gelungen war, mit den Hethitern Frieden zu schließen, so würde er nun auch für lange Zeit im tiefen Süden währen.
«Abu Simbel wird fortan der geistige Mittelpunkt Nubiens sein und die Liebe symbolisieren, die den Pharao und die Große königliche Gemahlin eint», erklärte Ramses Setaou.
«Du, mein Freund, du wirst hier in regelmäßigen Abständen die Häuptlinge der Stämme zusammenrufen und sie an den Riten teilhaben lassen, die diese Stätte heiligen.»
«Mit anderen Worten: Du gestattest mir, in Nubien zu bleiben… Das wird mir Lotos’ Liebe bewahren.»
Dieser milden Septembernacht folgte eine Woche der Feste und Rituale, in deren Verlauf die Teilnehmer staunend das Innere des großen Tempels erkundeten. In dem dreigeteilten Saal mit den acht Pfeilern, vor denen zwanzig Ellen hohe Statuen des Königs in Gestalt des Osiris standen, bewunderten sie Szenen aus der Schlacht bei Kadesch sowie die Begegnung des Herrschers mit den Göttern, die ihn umschlangen, um ihm ihre Kraft zu spenden.
Am Morgen der Tagundnachtgleiche des Herbstes betraten nur Ramses und Nefertari das Allerheiligste. Bei Sonnenaufgang fiel das Licht so in den Tempel ein, daß es auch den hinteren Teil des Heiligtums erhellte, in dem auf einer steinernen Bank vier Götter saßen: Horus-Re aus den leuchtenden Gefilden, der Ka von Ramses, der verborgene Gott Amun und Ptah, der Baumeister. Letzterer blieb bis auf die zwei Tagundnachtgleichen des Jahres im Dunkeln. Nur an diesen beiden Tagen streifte das Licht der aufgehenden Sonne die Statue des Ptah, dessen Worte Ramses aus dem Inneren des Felsens aufsteigen hörte: «Ich bin dein Bruder, ich verleihe dir Dauer, Festigkeit und Macht; wir sind vereint in der Freude des Herzens; ich bewirke, daß deine Gedanken im Einklang mit denen der Götter stehen; ich habe dich erwählt und ich trage Sorge, daß deine Worte gehört werden. Ich spende dir Leben, auf daß du andere am Leben erhältst.»
Als das Königspaar aus dem Tempel heraustrat, stießen Ägypter wie Nubier Jubelrufe aus. Nun war der Augenblick gekommen, den zweiten Tempel einzuweihen, das der Königin geweihte Heiligtum, das den Namen «Nefertari, für die sich die Sonne erhebt» trug.
Die Große Königsgemahlin brachte der Göttin Hathor Blumen dar, damit sich das Antlitz der Herrscherin über die Gestirne
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