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Ramses Mueller

Titel: Ramses Mueller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tex Rubinowitz
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Gegensatz zu Schubal seine Herkunft nicht peinlich, er musste sich nicht wie viele Zugereiste bis zur Selbstaufgabe, zur Unkenntlichkeit assimilieren, Assimilierungsasseln (»Assi-Assi«) nennt er all jene, die sich ganz schnell auf Biegen und Brechen den schnoddrigen Taxifahrerjargon zulegen, um die Spuren ihrer Herkunft zu tilgen, Berlin kann schon noch ein bisschen Worms vertragen, so sein Motto. Seine Kindheit und Jugend, er konnte sich in ihr frei wie ein Zelt entfalten, man förderte ihn, warf ihm nichts in den Weg, sein soziales Netz war ein engmaschiges aus lauter Onkel Werners, jeder Menge Omas und Opas, und die üblichen Bennis, Patricks und Olivers, Zuwendungen aller Art kamen, ohne dass er um sie buhlen musste, von allen Seiten, und das wird der große Unterschied sein zu Schubal, einer redet über Worms, der andere nicht über Uelzen, was hier das Netz war, war dort die Mauer. Des Schweigens nämlich. Ein einziges Mal hat Schubal über die Mutter geredet, dass sie ihm wohl mal einen Camembert auf den Tisch geworfen hätte, da war er in der Pubertät, hier iss, einziger Kommentar, das sei als Luxuszuwendung gemeint, ein französischer Weichkäse, er biss in ihn wie in einen Apfel, er hatte ja auch nie gelernt, wie man einen Kammbert , wie die Mutter ihn nannte, isst, man muss gar nicht mehr erzählen, um sich das ganze dunkle Elend, das sich da in Uelzen am Küchentisch und überhaupt zusammengeballt haben muss, vor Augen zu führen. Klammheimlich wird er nach Berlin gegangen sein, die Mutter wird nicht wissen, wo er steckt, was er macht, denn das weiß er vermutlich selber nicht, vielleicht denkt sie, dass er noch irgendwo in der Wohnung herumsteht, reglos.
    Armins Weggang hingegen wurde groß zelebriert, Mutter weinte, Onkel Werner besorgte den Umzug, fuhr noch mit, der Vater war ja gelähmt, hüftaufwärts, nahm ihn in Berlin sogar mit in den Puff, steckte ihm 100 Mark zu, sagte, er müsse kurz weg, damit er bei Armins »Erstkontakt mit den Außerirdischen«, wie er scherzhaft sagte, nicht auch noch anwesend sein müsse, das lähme ihn unter Umständen, er gehe mal um den Block , Armin trank diesen doch relativ teuren Sekt, den die Wirtin ihm immer wieder nachschenkte, dann noch einen Kiwilikör, und noch einen zweiten, und als die eine Dralle, mit der er so verkrampft, gespielt teilnahmslos plauderte, über seine Zeit beim Zivildienst, in der Großküche des Eisenbahnerwohlfahrtheims, dass sie da immer Margarineschlachten gemacht hätten, die Kollegen und er, also mit Margarine rumgeschmissen und an die Decke gefeuert, wo die Klumpen dann zwei, drei Tage, manchmal auch nur Stunden (im Sommer) kleben blieben, bis sie sich dann lösten und einem Unbeteiligten auf den Kopf oder sonst wohin fielen, Margarinebingo nannten sie das, er hätte da 18 Monate ja immer nur Tabletts gewaschen, würde sich aber nicht beschweren, es war keine schöne, aber auch keine unschöne Zeit, als die Animierdame ihn dann also irgendwann mit auf ein Zimmer nahm, ja sogar drängen musste, da wollte er weiter und weiter reden, um diese schier ohnmächtig machende Diskrepanz zwischen seiner Unsicherheit und seiner enormen Erregung einigermaßen zu kaschieren, ihm war peinlich, was hier quasi zur Grundausstattung, zum Rüstzeug gehört, oben dann im Zimmer, alles rot, das ganze erregte Blut im Unterbauch, da drehte sich ihm alles, und dann war das auch zu viel, er musste sich übergeben und kotzte sie an, von oben bis unten, Hulda hieß sie, das sagte sie ihm unten noch in einer Pause zwischen zwei Margarineanekdoten, er stellte sich ihr als Roger vor, »Geschäftsbeziehungen« in »solchen Vereinen« nie unter dem echten Namen, wie ihm Onkel Werner einschärfte, jetzt war Hulda fuchsteufelswild, schimpfte, und das ist auch etwas, was ihm einfiel, als Schubal vorher vom Römischen Gruß redete, natürlich kannte er das, nur eben einseitig und ohne etwas anschieben zu wollen, nun wollte Hulda 150 Mark haben, weil ja der Teppich, der Samtüberzug des Bettes und ihre rotweinroten Dessous verdreckt seien, von der Demütigung ganz zu schweigen, Reinigungs- und Schmerzenszulage sozusagen, Zulage zu was? Dachte er, als er dann wieder runter ging in den Barbereich, da stand schon Onkel Werner, machte augenzwinkernd die offenbar unvermeidliche Okay-Geste mit dem Daumen, er konnte trotz Armins Fahlheit nicht wissen, was da oben gelaufen war, nämlich nicht mal nichts, sondern etwas schrecklich Deprimierendes, wozu er dann sogar noch mal 50

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