Ramses Mueller
Biscoito?
Stuckrad ist verblüfft, er kennt den Laden hier, einigermaßen gut, auch den bazillengesprenkelten Kochkellner hat er schon öfter gesehen, man grüßt sich, aber bis jetzt wusste er nicht, wie er heißt.
– Das ist mein Spitzname, so nennen sie mich hier, zu Deutsch: der Keks.
– Christoph, erzähl mal deine Geschichte, soll der Keks entscheiden.
– Halt die Klappe.
– Nein, erzählt mal, das interessiert mich, ich kann ja Richter sein, um was geht’s denn, die Heulsuse da draußen?
– Nein, um Geld.
– Na ja, das ist ja fast das Gleiche.
Beide, Schlingensief und Stuckrad-Barre, versuchen jetzt dem Koch in groben Zügen das zu erzählen, was seit gestern passiert ist, beide durcheinander, der Koch gibt sich Mühe mitzukommen, dann kommen sie in die Wohnung Barres und dazu, dass Schlingensief nicht unbedingt Haußmann treffen wollte, sich im Klo verschanzt und seinen Ausbruchsplan entwickelt hat.
– Also, für mich klingt das nachvollziehbar, verfahrene Situationen erfordern ungewöhnliche Maßnahmen, mit Vernunft ist da gar nichts regelbar.
– Genau, sag ich doch auch immer, »pure Vernunft darf niemals siegen«.
– Das sagt Rainald, Christoph, das hast du dem ge klaut, wie du allen alles klaust, bei Pablo Picasso klaust du und bei Heinz Rühmann und …
– Und?
– Und Marcel Marceau und so und jetzt willst du diesem Schubal auch noch seine Kohle klauen, Kafkas Heizer die Kohle klauen, na toll.
Sie starren einander an wie Fremde, als sei ihre gemeinsame Geschichte in diesem einen kurzen Moment ausgelöscht worden, durch diesen einen Namen, den des Pantomimen, der Kafka als Kohlendieb gestenreich denunziert.
– Dann frag den doch mal, wie sein Geld da in euren Hinterhof kommt, das würde mich jetzt echt mal interessieren.
– Und wie kriegen wir den jetzt hier ins Klo zum Kreuzverhör?
– Ich hol ihn mal, wer ist das, der Stumme oder der Verschmierte?
Biscoito scheint es Spaß zu machen, hier eine Entscheidung zu erwirken, früher hatte er mal Jura studiert, aber das war noch in der DDR, also sozialistisches Recht, nach dem es noch die Todesstrafe gab, dass die und die Kinderkrippen nach dem Untergang der DDR verschwinden mussten, ist mehr als nur der Verlust zweier Eckpfeiler des Lebens, man hat ihnen die Identität ihrer Ordnung genommen, wie der Keks bedauert. Er geht wieder zurück in den Gastraum, deutet auf den verunsicherten Schubal.
– Du, komm mal her, komm du jetzt mal mit aufs Klo.
Alle starren den kommandierenden Koch an, was soll das, Haußmann muss sich einmischen, auch weil der Koch einer der »Ihrigen« ist, er spricht Lausitzer Dialekt.
– Kannst du nicht normal reden, Freundchen, was soll das sein, soll er das Klo sauber machen, weil du es mit deiner dreckigen Schürze nur noch schmutziger machen würdest?
– Halt mal den Mund, Brillenschlange, komm du mit, Schlingensief und der Stuckrad wollen dich sehen.
Lydia, Armin und Schubal denken, aha, der Koch ist auch noch einer der Stuckradmenschen, also einer, der vielleicht Soloalbum gelesen hat und sich von ihm beeindrucken lässt, vom Bestseller und von Ramses’ Doppelgänger, Schubal steht auf, er fühlt sich nicht direkt angesprochen, weil der Koch ihn ja zu einem anderen führt, also nicht zu Stuckrad-Barre, sondern zu Ramses Müller, also, da kann man das Spiel mitmachen, weil der Koch ja keine Ahnung hat.
– Nein, du bleibst jetzt hier.
Haußmann wird wütend.
– Kannst du mit ihm vielleicht mal etwas weniger ruppig umgehen, wir sind hier nicht bei der Armee. Hast du da eigentlich gelernt, diesen Fraß hier zu kochen?
Das lässt sich der Keks nicht gefallen, er will sich jetzt nicht beflegeln lassen müssen, er zerrt Schubal vom Sitz, Richtung Klo, Haußmann springt auf und greift sich ebenfalls Schubal am anderen Arm, sie zerren an ihm, wenn er aus Papier wäre, wäre er schon längst zerrissen, denkt Schubal, und das wäre er liebend gerne jetzt, zwei Teile, dann hat der Koch etwas von ihm und Haußmann, und es gäbe keinen Streit.
Schlingensief und Stuckrad hören das das Gerangel begleitende Gelärm und kommen aus dem Klo, und jetzt sollen sie auch noch an seinen Beinen ziehen, dann wäre er vier Teile, umso besser, jeder soll einen Teil haben, und je kleiner die Teile, desto wohler würde er sich fühlen, das kleinste nur denkbare Sandkorn ist das glücklichste, die Welt ist so groß, man kann nur immer staunen, man kann alles erreichen und nichts verlieren, nichts und niemanden, man
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