Ratgeber Magersucht
arbeiten, wissen wir sowohl aus der Sicht von Therapeuten als auch aus der Sicht von Betroffenen, wie hart diese Arbeit ist, mit welchen Enttäuschungen man manchmal konfrontiert wird und wie viel Kraft und Mut Betroffene in der Therapie benötigen. Wir wissen aber auch, welche wunderbaren Wandlungen Betroffene im Rahmen einer Therapie vollziehen können, kennen das Glücksgefühl dieser erfolgreichen Betroffenen und den Stolz der Therapeuten, die an diesem Prozess beteiligt sein durften. Auch wenn die „Heilungsraten“ bei dieser Erkrankung zu niedrig sind und die Sterberate erschreckend hoch, so sollten wir dies als Herausforderung begreifen, uns darum zu bemühen, Fortschritte in jedem Einzelfall zu erzielen. Auf Seiten der Betroffenen wird es darum gehen, sich der Erkrankung und der Angst vor Veränderungen zu stellen. Die Angehörigen werden lernen müssen, ihre Rolle bei der Aufrechterhaltung der Erkrankung zu überdenken und die Helfer werden weiterhin bemüht sein müssen, gemeinsam mit allen Beteiligten dem Betroffenen einen konstruktiven Weg aus der Erkrankung aufzuzeigen und dabei adäquate Hilfestellungen zu leisten.
Bad Bramstedt, im März 2008 T. Paul und U. Paul
1 „Magersucht“ – was ist das?
1.1 Woran erkennt man, dass jemand an einer Magersucht leidet?
Während die Magersucht vor 30 Jahren eher noch zu den selteneren Erkrankungen zählte, kann man heutzutage magersüchtige Menschen fast überall antreffen. Geht man am Samstagmorgen durch die Fußgängerzone einer Großstadt und beobachtet die zahllosen Mitmenschen hinsichtlich ihrer Körpergestalt etwas genauer, so dürfte es nicht schwer fallen, unter diesen auch die eine oder andere magersüchtige junge Frau zu vermuten. Ein erster Hinweis auf eine Magersucht ist das auffallende Untergewicht der Betroffenen. Frauen weisen kaum noch weibliche Körperproportionen auf, auch Männer sind völlig abgemagert. Bei eng anliegender Kleidung sieht man gelegentlich sogar die Knochen hervorstechen. Aufgrund von Mangeldurchblutung sind oft die Hände, die Füße und auch die Nase deutlich rot-violett verfärbt. Während manche magersüchtigen Menschen ihre Erkrankung zur Schau stellen und durch ihren abgemagerten Körper versuchen, die Aufmerksamkeit anderer auf sich zu ziehen, verbirgt der Großteil der Magersüchtigen ihre Körpergestalt unter weiter, figurverhüllender Kleidung. Auch der Fachmann erkennt manchmal erst das ganze schreckliche Ausmaß der Erkrankung, wenn die Betroffenen in ausgezogenem Zustand vor ihm stehen. Nicht selten wird die Erkrankung von den Betroffenen verleugnet. Sie brauchen häufig viele Jahre, bis sie sich zu ihrer Erkrankung bekennen und sich um Hilfe bemühen. In den meisten Fällen entwickelt sich die Erkrankung schleichend über viele Wochen und Monate hinweg. Dabei haben die Betroffenen vor Beginn der Symptomatik zumeist ein annähernd normales Gewicht, mit dem sie sich aber nicht mehr wohl fühlen und das sie etwas reduzieren möchten.
Im Folgenden werden stichpunktartig wesentliche Merkmale genannt, die auf das Vorliegen einer Magersucht hindeuten können. Keines davon allein kann die Diagnose einer Magersucht rechtfertigen, und nicht alle untergewichtigen Menschen sind magersüchtig. Untergewicht ist nur ein Kennzeichen der Magersucht und es müssen weitere hinzukommen (s. u.), damit
Tabelle 1: Wesentliche Merkmale von Magersucht
Körperlich
– Deutliches Untergewicht.
– Häufiges Frieren.
– Mangeldurchblutungen.
– Schlafstörungen.
– Geräusch- und Lichtempfindlichkeit.
– Haarausfall und trockene Haut.
– Aussetzen der Regelblutung.
Gefühle/ Denken
– Drastischer Gewichtsverlust, der von der Betroffenen positiv erlebt wird.
– Große Angst vor Gewichtszunahme und davor, die Kontrolle über die Nahrungsaufnahme zu verlieren.
– Fixierung der Gedanken auf Essen und Gewicht. Teilweise beginnen die Betroffen Kochbücher oder andere Utensilien im Zusammenhang mit Essen zu sammeln oder auch Lebensmittel zu horten, kochen für andere Familienmitglieder und interessieren sich auffallend für das Essverhalten anderer.
– Entscheidungsschwierigkeit bei der Nahrungsauswahl.
– Starke Stimmungsschwankungen.
– Depressive Verstimmungen bis hin zu schweren Depressionen.
Verhalten
– Rituale und Zwänge im Essensbereich (z. B. nur zu bestimmten Zeiten essen; nicht
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