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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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Vaters dem älteren Bruder gegenüber und den vielen Komplexen des eigenen Äußeren wegen zu kämpfen hatte. Und was ihm heute an Persönlichkeit mangelte, versuchte er mit übertriebenem Autoritätsgebaren wettzumachen. Anpassung nach oben und Aggressionsabbau nach unten waren seine Devisen, die ihm we nig Sympathien und seinen Spitznamen eingebracht hatte.
    Eva, die aus Glücks Zimmer den Wortwechsel der beiden Ärzte mithören konnte, wusste, dass sie oder einer ihrer Kollegen demnächst als Blitzableiter dienen durften. Hüte dich vor kleinen Männern! , hatte ihr Großvater immer gewarnt.
    »Was ist denn bei euch los?«, brüllte Stiller über die Station, als er aus Valentin Josts Zimmer heftigen Wortwechsel hörte. Er steckte seine Notizen ein.
    »Warum sind Sie noch nicht in Ihrem Bett?«, fuhr er seinen Patienten wie ein unmündiges Kind an. Jost saß noch immer auf dem Rollstuhl und weigerte sich, sich ausziehen zu lassen.
    »Wie lange soll ich hier bleiben?«, wandte er sich an den Arzt.
    »Mindestens bis morgen früh. Solange brauchen wir, um eine akute Blutung einigermaßen sicher ausschließen zu können.«
    »Können Sie vergessen. Ich gehe!« Jost wollte sich erheben, wurde aber von Stefan mit sanfter Gewalt zurück in den Stuhl gedrückt. Der versuchte zu beruhigen: »Herr Jost, Sie haben einen Schock nach dem Unfall. Sie sollten sich hinlegen. Wirklich! Wir geben Ihnen eine Infusion und in drei, vier Stunden geht es Ihnen dann sicher wieder besser.« Eva bereitete nebenher alles für eine Infusion vor.
    »Nein!«, donnerte Jost. »Bringen Sie mir irgendwas, das ich unterschreiben kann und dann verschwinde ich.« Er stand auf und wollte einen Schritt Richtung Tür machen, musste sich aber von dem Pfleger stützen lassen.
    »Merken Sie denn nicht selbst, dass Sie viel zu schwach sind?«
    »Aber was soll ich denn machen?« Valentin Jost klang verzweifelt.
    »Meine Frau und die Kinder sind zu Hause, kein Strom, kein Telefon. Sie wissen doch gar nicht wo ich stecke, wenn ich heute Abend nicht pünktlich zurück bin.«
    »Lasst ihn gehen«, beendete Stiller die Diskussion und war innerlich froh, diesen nicht existenten Patienten so schnell wieder loszu-werden. »Er soll unterschreiben, dass er gegen ärztlichen Rat das Haus verlässt und Schluss.«
    Aleksandr Glück musterte Eva mit einer Mischung aus väterlicher Fürsorge und Verliebtheit. »Alles ein bisschen viel für den kleinen Doktor?« Eva lächelte; der kleine Doktor. Das passte.
    »Er mag es gern, wenn hier alles schön geordnet abläuft und er dabei das Gefühl hat, die Dinge im Griff zu haben.« Glück nickte.
    »Aber heute geht alles drunter und drüber.«
    »Und das macht dem kleinen Doktor Angst.«
    »Richtig.«
    Glück zog sich seine Bettdecke bis unters Kinn. »Und Ihnen?«
    »Bitte?« Eva hatte die Frage sehr wohl verstanden, aber keine Antwort parat.
    »Haben Sie Angst?«
    Eva war in den vergangenen zwei Stunden seit dem Stromausfall kaum zum Nachdenken gekommen. Die überstürzte Verlegung der Patienten, die Hektik, die Stiller verbreitete, ihr eigener Zustand und die permanente Übelkeit sowie Valentin Jost hatten sie völlig in Anspruch genommen. Quasi nebenher versorgte sie noch Aleksandr Glück. Hatte sie Angst? Machte sie sich Sorgen? Evas Blick fiel auf den leeren Himmel hinter den hermetisch abgeschlossenen großen Fensterscheiben.
    »Schwästerrr?«
    Eva konnte nicht anders, sie musste lächeln.
    »Schwester, wissen Sie, ein wenig Angst hat noch keinem geschadet. Ist es nicht ganz normal sich zu fürchten, wenn man sich plötzlich einer unerwarteten, fremden Situation gegenübersieht?«
    »Lea, meine Tochter, sie ist erst sieben. Sie ist bei einer Nachbarin. Hoffe ich.«
    »Und Ihr Mann? Sie haben doch einen Mann?«
    Eva nickte. Sie spürte Tränen in sich aufsteigen. Für diesen Moment konnte sie sie noch hinunterschlucken, aber sie wusste, dass der Pegel in ihr langsam anstieg und irgendwann überlaufen musste. »Mein Mann ist gestern Morgen nach Schweden geflogen. Glauben Sie, dass nur hier Flugzeuge abstürzen? Bei meinem Mann wird doch alles in Ordnung sein, oder?«
    Hans saß vielleicht irgendwo in Südschweden fest. Wie würde es für sie und wie für Hans weitergehen, sollte sich nicht alles schnell wieder normalisieren? Wie ging es Lea? Sie versuchte diesen Gedan-ken mit aller Macht aus ihrem Kopf zu verbannen, aber je stärker ihr Bemühen, so schien es, desto übermächtiger und klarer wurde dieser Albtraum! Weit

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