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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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viel. Mit offenem Mund starrte er noch im mer sein Allerheiligstes an. Er hielt ein Grab in den Händen. Beerdigt waren Termine und Adressen, Telefonnummern und Nachschlagewerke, Fotos. Morgen früh hatte er doch mit seiner hochschwangeren Frau einen Termin beim Frauenarzt! Ultraschall. Baby angucken. Vielleicht könnten sie diesmal endlich sehen, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird. Aber wann, wann zum Teufel sollten sie bei ihrem Arzt sein? Und wie war die Rufnummer der Praxis?
    »Was ist mit Telefon?« Professor Kellermanns Blick wanderte von Stillers kleinem Computer zu Peter Tröndle. »Kann man wenigstens irgendjemanden erreichen?«
    »Nein.« Tröndle schüttelte den Kopf. »Normale Festnetztelefone funktionieren nicht. Wir haben es mit einem uralten Apparat probiert, aber auch hier tote Hose. Und mit Handys ist gar nichts zu machen. Die meisten Handys sind völlig hinüber und die zwei funktionierenden, die wir hier im Haus gefunden haben, geben nur Knacken und Rauschen von sich.«
    »Es weiß also auch keiner, was eigentlich los ist und wann wir wieder Strom haben?«
    »Nein.«
    »Irgendjemand muss doch Bescheid wissen!« In Stillers Stimme schwang Verzweiflung. »Es muss doch jemand wissen, wann die Telefone und der Strom wieder funktionieren. Und was mit meinem Com-puter los ist«, fügte er mit einem Blick auf das jetzt unnütze Ding in seiner Hand hinzu. »Wir leben schließlich nicht im Mittelalter!«
    »Aber«, in Tröndles Augen flackerte Angst, »es scheint noch viel schlim mer zu sein. Die Leute berichten von mehreren Flugzeugabstürzen in der Umgebung. Richtung Blumberg steigt Rauch auf und die Straße nach Villingen ist wohl nach mehreren Unfällen unpassierbar.«
    »Also dann«, Kellermann hatte einen Entschluss gefasst, »für heute werden bis auf Weiteres sämtliche Operationen abgesagt. Stiller, Sie stecken endlich das Ding da weg und schauen, welche Patienten unbedingt bei uns bleiben sollten und welche auf normale Stationen verlegt werden können. Und stellen Sie sicher, dass es zu keinen Problemen infolge des Stromausfalles kommt.« Dann verließ er gemeinsam mit dem Verwaltungsleiter die Station. Zurück blieb ein hilfloser Stiller. Der Arzt blieb einen Moment auf dem breiten Flur stehen und betrachtete den routinierten Betrieb um sich herum. Alles lief weiter. Als sei nirgendwo der Strom ausgefallen, als könne man sofort jeden Menschen der Welt telefonisch erreichen, als würde sein kleiner Taschencomputer problemlos funktionieren. Das elektrische Licht – dem Notstromaggregat sei Dank − die routiniert arbeitenden Schwestern und Pfleger und die vertrauten Geräusche der unbeirrt tätigen medizinischen Geräte gaben ihm langsam seine Sicherheit zurück. Gollums dürrer Körper straffte sich.
    Eva brachte Aleksandr Glück das bescheidene Frühstück, Brei und etwas Apfelmus. Da die Aufzüge nicht funktionierten, hatte sie es selbst aus der Küche im Erdgeschoss holen müssen. Unterwegs hatte sie mehrmals versucht, bei Susanne Faust anzurufen, aber sie bekam nicht einmal ein Freizeichen. Und auch Hans hatte sich nicht wie versprochen gegen acht gemeldet. Er rief sonst jeden Morgen an, egal ob sie zu Hause oder hier auf Intensivstation war. Heute aber klingelte kein Telefon. Für niemanden.
    Die Station wurde zügig geräumt. Alle bis auf Aleksandr Glück, der noch Medikamente erhielt, die eine dauernde Kreislaufüberwachung nötig machten, wurden auf andere Stationen verlegt, denn Dr. Achim Stiller − Gollum − und sein Chef, Professor Kellermann, erwarteten als Folge der Flugzeugabstürze und Verkehrsunfälle jeden Augenblick Schwerverletzte. Kurz vor halb neun war man bereit.
    Der Ansturm jedoch blieb aus.
    Trotzdem wurden die fünf Operationssäle der Klinik eilig für Not-falleingriffe vorbereitet. Da jedoch sämtliche Kommunikationswege des Hauses unterbrochen waren – Telefon, E-Mail und Piepser funktionierten weiterhin nicht – hielten sich sieben Chirurgen und vier Anästhesisten im OP-Trakt in Bereitschaft, dazu acht Schwestern und Pfleger. Die Stationen wurden durch jeweils einen Assistenzarzt betreut und wer übrig blieb, erwartete in der Nähe der Krankenwageneinfahrt die kommenden Patienten. Zwei Schwestern übernahmen vorerst die Informationsübermittlung und pendelten im Haus zwischen den Chefärzten und ihren Mitarbeitern, der Verwaltungsleitung und den einzelnen Stationen.
    Ein erstes Opfer, Valentin Jost, der zum ersten nicht existierenden Patienten der Klinik

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