Raue See
schien für ihn nicht der Ausgleich zu sein, den er brauchte. Er suchte wohl nach Bestätigung. Und die gab es weder im Klub noch im Puff. Letzteres wäre, wie sie sich eingestand, auch eine auf Dauer ruinöse Alternative. Er musste also eine Geliebte haben. Aber wen?
Sie suchte nach Beweisen. Doch die geschulte Durchsuchung sämtlicher Kleidungsstücke und Taschen brachte nichts Verwertbares zum Vorschein. Warum machte sie das eigentlich? Ihr fiel der Spruch »Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft« ein. War es Eifersucht? Sicher auch das. Aber es war vor allem ihr tief verwurzeltes Bedürfnis nach Klarheit. Der Wunsch, nicht hintergangen, ach was, verarscht zu werden. Doch wo waren die Beweise? Ob sie Streicher eine gebrauchte Unterhose von Günter geben und ihn bitten sollte, dort nach weiblicher DNA , die nicht ihre war, zu suchen?
Sie stellte sich das Gesicht von Herbert Streicher vor, wenn sie ihn um diesen Gefallen bat, und verwarf den Gedanken. Ihre Probleme würde sie schon allein lösen. Sie dachte nach. Weit kam sie nicht, denn Jonas wachte auf und begann augenblicklich, herzzerreißend zu brüllen. Vielleicht hatte er schlecht geträumt, die Hose voll, war noch müde oder hatte Hunger. Wiebke befürchtete, dass es alles zugleich war. Sie nahm den Kleinen aus der Wiege, roch an der Windel, unterdrückte den Ekel und wickelte ihn erst einmal.
* * *
Günter war schon länger nicht mehr hier gewesen. Wismar und Rostock verbanden die gemeinsame Hansevergangenheit, die Lage an der Ostseeküste und vierzig Jahre gemeinsame DDR -Geschichte.
Doch Wismar war irgendwie mehr stehen geblieben als Rostock. Die Innenstadt wirkte so, als wäre sie unter Auslassung von mehreren Jahrhunderten einfach in die Jetztzeit verpflanzt worden. Kein Wunder, dass die Wismarer Altstadt ein Weltkulturerbe der UNESCO ist, dachte Günter.
Er ging am Stammhaus von Karstadt vorbei. Hier hatte irgendwann im 19. Jahrhundert ein gewisser Rudolph Karstadt die Idee gehabt, einen Tuchhandel zu eröffnen. Der Rest war Wirtschaftsgeschichte mit einem unrühmlichen Ende.
Er ging noch ein paar Meter weiter und erreichte ihr Haus. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals. Er wusste, dass er vor seinem persönlichen Rubikon stand. Würde er jetzt schellen und sie ihm öffnen, gäbe es kein Zurück mehr. Ein Fluchtreflex packte ihn. Los, verschwinde! Fahr zurück nach Rostock.
* * *
Jonas schlief, Gott sei Dank, wieder friedlich, und Wiebke konnte sich in aller Ruhe ihrer Recherche widmen. Ich bin immerhin Polizistin, dachte sie. Da werde ich doch wohl in der Lage sein, meinem eigenen Mann den Seitensprung zu beweisen. Fieberhaft überlegte sie, wie sich die Männer üblicherweise verrieten. Quittungen von irgendwelchen billigen Hotels hatte sie ebenso wenig gefunden wie Restaurantrechnungen mit zwei Essen nebst Champagner. Auch keine blonden Haare auf seiner Kleidung.
Wieso eigentlich blond?, fragte sie sich auf einmal. Irgendwie war Günters Geliebte in ihrer Phantasie blond. Aber sie könnte doch auch kastanienbraunes oder rötliches oder schwarzes Haar haben. Zumal sie ja selbst blond war.
* * *
Günter drückte den Knopf, auf dem »Carolyn Angermüller« stand. Es summte, und er trat ins Treppenhaus. Er hatte den Fluss überschritten. Als er ihr die Blumen, die er gekauft hatte, übergab, kam er sich ungeheuer albern vor. Aber Carolyn schien sich zu freuen.
»Komm rein«, sagte sie lächelnd. »Schön, dass du da bist.« Sie küsste ihn links und rechts auf die Wange. Günter stand unschlüssig in der neu renovierten Altbauwohnung herum.
»Schön hast du es hier«, bemerkte er, weil ihm nichts Besseres einfiel. Aus der Küche, in der sie offenbar nach einer Vase für die Blumen suchte, schallte es zurück: »Ja, ganz nett. War früher das Büro der Dresdner Bank. Nachdem die raus sind, wurde alles komplett umgemodelt.«
Mit der Vase in der Hand kam sie zurück in den Flur.
»Willst du hier Wurzeln schlagen?« Sie lächelte und deutete auf die Tür zum Wohnzimmer. Günter trat ein und bemerkte, dass hier eins zum anderen passte. Es war perfekt, ohne dass es steril wirkte.
Auf dem Couchtisch brannten in silbernen Kandelabern Kerzen. Rotwein funkelte im Glas, und auf einer Platte luden italienische Antipasti zum Dinner ein.
Sie sah seinen Blick und verstand sofort.
»Keine Sorge, ich habe mich nicht in der Küche versucht. Die Sachen sind von meinem Stammitaliener. Und dass es hier so
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