Raumschiff 2 - Nancia
Gleichgewicht wiederherzustellen.«
Schweigend nahm Nancia die Bedeutung dieser Rede in sich auf. Wie sie in das verzerrte Gesicht ihres Vaters blickte, begann sie zum ersten Mal zu begreifen, wieviel Zeit und Mühe er seiner Familie im Laufe der Jahre tatsächlich
gewidmet haben mußte. Seit ihre Mutter sich in einer
verschwiegenen, vornehmen Klinik in aller Stille in den Hafen der Blisstosucht begeben hatte, hatte er sich bemüht, drei widerspenstigen, hochintelligenten Kindern Vater und Mutter zugleich zu sein. Ein Mann von anderem Schlag hätte seine Kinder vielleicht emotional überfordert; ein anderer
Karrierediplomat hätte sie möglicherweise in exklusive Internate gesteckt und sie dort vergessen. Aber Daddy war kein Raul del Parma, der seine Kinder benutzte, mißbrauchte und vergaß. Er hatte sein Bestes für sie gegeben… im Rahmen seiner Möglichkeiten… hatte sich zwischen Sitzungen
freigenommen, hatte lange, ermüdende Umwege zwischen
zwei Posten in Kauf genommen, um ein oder zwei Tage auf ihrem Planeten zuzubringen, mit der gnadenlosen
Terminplanung eines Diplomaten jonglierend, um an
Abschlußfeiern und Schultheater Vorführungen teilnehmen zu können. »Ein Mangel an Urteilskraft, vielleicht«, sagte Javier Perez y de Gras, als das Schweigen zu lang geworden war,
»aber niemals… bitte glaube mir… mangelnde Liebe. Du bist meine Tochter. Ich wollte nur das Beste für dich.« Und als er sich aus seinem gepolsterten Sessel erhob, legte er eine Hand kurz auf die Titansäule, die Nancias Schale umschloß und beschützte.
»Erbitte Erlaubnis, an Bord zu kommen!«
Diesmal gab es keine Identifikation, aber Nancia erkannte Foristers Stimme, auch wenn er die Worte beim Sprechen auf etwas unvertraute Weise dehnte. Sie aktivierte ihre
Außensensoren und erblickte nicht nur Forister, sondern auch die Generalin Questar-Benn, die mit ihm draußen auf dem Landeplatz stand.
»Erbitte Erlaubnis, an Bord zu kommen«, wiederholte
Forister. Er strengte sich sehr an, die Worte sorgfältig auszusprechen. Und Micaya Questar-Benn stand auch sehr förmlich da, steif wie auf dem Exerzierplatz. Ein Verdacht keimte in Nancia auf.
Sie ließ die unteren Luken aufgleiten und wartete. Einen Moment später öffnete sich die Luftschleuse und Micaya Questar-Benn betrat die Hauptkabine. Sehr langsam, sehr vorsichtig.
Forister folgte. Er hielt eine geöffnete Flasche in einer Hand.
»Du bist ja tatsächlich betrunken«, sagte Nancia streng.
Forister wirkte verletzt. »Noch nicht. Wollte mich nicht endgültig betrinken, bevor ich nicht zurückgekehrt war, um dir die Nachricht mitzuteilen. Einfach nur… glücklich. Sehr glücklich«, führte er aus. »Sehr, sehr, sehr… wo war ich stehengeblieben?«
»Dabei, den Boden einer Flasche Schaumheorot zu
bewundern, vermute ich«, sagte Nancia zu ihm.
Foristers gekränkte Miene verdüsterte sich noch mehr.
»Bitte! Glaubst du wirklich, ich würde dem besten GehirnSchiff in der Zentrale einen Trinkspruch mit diesem billigen Zeug ausbringen? Das ist doch nur etwas für, für…«
»Für am Hungertuch nagende Musiker?« schlug Nancia vor.
Eines Tages würde sie ein ernstes Gespräch mit Daddy über Flix führen müssen. Sie würde ihm raten, damit aufzuhören, vielversprechende Karrierestarts für Flix zu suchen und dem Jungen einfach zu gestatten, Synthocommer zu bleiben. Doch Daddys letzter Besuch war nicht gerade die beste Gelegenheit gewesen, das Thema zur Sprache zu bringen. Und anfunken konnte sie ihn auch nicht; Foristers Geist hatte noch andere Anschläge auf sie vor. Jedenfalls das, was von seinem Geist noch übrig war, berichtigte sie sich mit einem Anflug von Neid.
»Ich lasse dich hiermit wissen«, verkündete Forister mit einer ausladenden Armbewegung, »daß dies echter Wein von der Alten Erde ist! Nichts Geringeres als Badacsonyi Keknyelu!«
Nancias neues Sprachmodul beinhaltete nicht nur Latein und Griechisch, sondern auch eine Auswahl weniger bekannter Sprachen der Alten Erde. Sie ging das ungarische Wörterbuch durch. »Blauzunge Badacsony-See? Bist du sicher?«
»Glauben Sie ihm«, mischte sich Micaya Questar-Benn ein.
Wie Forister mühte sie sich um sorgfältigste Aussprache ihrer Konsonanten. »Wenn es so gut ist wie das rote Zeug, ist es jede Verrechnungseinheit wert, die er dafür bezahlt hat. Wie hieß das rote Gesöff noch einmal, Forister?«
»Egri Bikaver.«
»Stierblut vom Eger«, übersetzte Nancia. »Na ja. Wißt ihr, manchmal
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