Raumschiff 2 - Nancia
ausgelöst hatte, die ihre Oberdeckschaltkreise durchflutete, kannte sie schon den Rotschleier, der in ihren Videosensoren bebte. Einen Augenblick lang sagte sie nichts, fürchtete, daß sie ihre Stimme nicht würde beherrschen können. Sie konnte Daddy nicht ansehen, ohne zugleich Caleb und – als Schatten ihrer Imagination – Raul del Parma y Polo zu schauen. Wieder so ein Mann, der in ihr nichts anderes als ein Werkzeug im Dienste seiner Pläne sah, der gekommen war, um ihr sein Urteil darüber mitzuteilen, wie gut oder schlecht sie seiner Meinung nach abgeschnitten hatte.
Waren alle Männer so?
»An welche Fehlurteile hast du denn genau gedacht?« fragte sie, als sie ihre Stimmschaltkreise wieder unter Kontrolle hatte.
Nicht daß sie nicht jede Menge Fehler begangen hätte, auf die Daddy sich stürzen könnte…
»Endlich hat ein anderes Schiff die Aufgabe übernommen, die Angeklagten zur Zentrale zurückzubefördern«, sagte Daddy. »Aber wie ich im Prozeß hörte, warst du durchaus dazu bereit, diesen Dienst selbst zu erbringen. Du solltest dich nicht auf eine solche Weise herabwürdigen, Nancia. Eine Perez y de Gras sollte nicht als Gefängnisschiff für den Transport gemeiner Verbrecher ausgenutzt werden.«
»Falls du es vergessen haben solltest, Daddy«, erwiderte Nancia, »bei diesen ›gemeinen Verbrechern‹ handelt es sich um dieselben Leute, die ich auf meiner Jungfernfahrt ins System Nyota transportiert habe… Und hast du nicht damals ein paar Fäden gezogen, um mir diesen Auftrag zu
verschaffen?«
Javier Perez y de Gras setzte sich schwerfällig in einen der Kabinensessel. »Das habe ich«, bestätigte er. »Ich dachte, es würde ganz nett für dich sein, etwas jüngere Gesellschaft zu haben… junge Leute deiner eigenen Klasse und
Bildungsstufe… auf deiner ersten Fahrt. Eine leichte Aufgabe, wie ich dachte.«
»Das dachte ich auch«, antwortete Nancia. In ihre Stimme schlich sich etwas von der Trauer, die sie empfand. Was immer sie mit ihren Feedbackschlaufen angestellt hatte, es schien jedenfalls in beide Richtungen zu funktionieren. Nun konnte sie nicht mehr die vollkommen kontrollierten, emotional tonlosen Vokalisationen ausführen, auf die sie noch vor dem Hyperchip-Desaster so stolz gewesen war. »Das habe ich auch gedacht. Aber es erwies sich als… sehr viel komplizierter. Und ich wußte nicht, was ich tun sollte. Vielleicht habe ich tatsächlich einige ›Fehlurteile‹ gefällt. Wie du dich erinnerst, hatte ich ja auch nicht allzu viele Ratgeber zu Verfügung.« Nur eine aufgezeichnete Glückwunschnachricht von einem Mann, der zu beschäftigt und zu wichtig war, um zu meiner Abschlußfeier zu kommen.
»Ich erinnere mich sehr wohl«, bestätigte ihr Vater. »Das kannst du von mir aus meinen Fehler nennen, wenn du willst.
Nachdem du die Laborschule hinter dich gebracht hattest und in Dienst gestellt wurdest, schienst du dich so gut zu entwickeln – und ich machte mir solche Sorgen wegen Flix.
Was ich übrigens immer noch tue.« Er seufzte. »Jedenfalls warst du im Begriff, eine ruhmvolle Karriere anzutreten, während meine anderen Kinder jede Menge Probleme hatten.«
»Jinevra doch wohl nicht!« rief Nancia. »Ich dachte immer, sie wäre das perfekte Beispiel dessen, was auch wir deiner Meinung nach werden sollten.«
»Ich wollte nur, daß ihr ihr selbst werdet«, widersprach ihr Vater. »Das habe ich euch anscheinend nicht deutlich genug gemacht. Jinevra ist ein musterhaftes Exemplar der idealen PHD-Verwaltungsbeamtin, und ich weiß überhaupt nicht mehr, wie ich zu ihr durchdringen kann. Und Flix… na ja, Flix kennst du ja selbst. Ich dachte, daß er mehr meiner
Aufmerksamkeit bedurfte als du. Ich glaubte, daß ein paar Hinweise, vielleicht eine Einstiegsposition in irgendeiner Abteilung der Zentrale, wo er sich hocharbeiten könnte, um eines Tages etwas darzustellen… Natürlich hätte er dafür seine Herumalberei mit dem Synthcom aufgeben müssen…« Javier Perez y de Gras seufzte. »Flix ist nie vernünftig geworden. Ich weiß es nicht, vielleicht fühlt er sich ja vernachlässigt wegen der vielen Jahre, in denen ich mir jeden freien Augenblick nahm, um dich in der Laborschule zu besuchen. Damals hatte ich nicht viel Zeit für ihn. Sogar an dem Tag, als er geboren wurde, war ich in der Laborschule, um zuzusehen, wie du an deine erste mobile Hülle angeschlossen wurdest. Es schien mir, daß er mich mehr brauchen würde als du… Ich dachte, es sei an der Zeit, das
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