Raus aus der Suchtfalle!
einmal nicht mehr von den Kindern benötigt, ihre Identifikation als »Mutter« füllte immer weniger Lebensbereiche aus. Ganz offensichtlich stellte bei ihr ein nicht ausreichend tragfähiges Lebenskonzept für diese Entwicklungsphase eine Grundlage für den erhöhten Suchtmittelkonsum dar. Es kann nur spekuliert – nicht aber bewiesen – werden, dass sie sich unbewusst dagegen wehrte, sich aktiv mit dieser neuen Lebensphase auseinanderzusetzen, eine andere Rolle als die der Mutter zu stärken, ihre Identität den neuen Herausforderungen anzupassen.
Dieses Beispiel legt nahe, dass eine »Entwöhnung« von Alkohol und Medikamenten bei Frau J. bedeutet, dass sie sich für die neue Entwicklungsaufgabe in ihrer aktuellen Lebensphase wappnen muss. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Frau J. wieder rückfällig oder anderweitig psychisch krank wird, wenn sie die anstehenden Entwicklungsaufgaben nicht bewältigt.
Dieses Beispiel verdeutlicht auch den Ansatz der psychodynamischen und tiefenpsychologischen Therapien. Aus dieser Sicht wird die Funktion (»Funktionalität«) der Suchterkrankung betrachtet und die Suchterkrankung auch als ein Symptom einer tiefer liegenden Verursachung verstanden.
Viele Angehörige verhalten sich co-abhängig
Das Leben eines abhängigen Menschen dreht sich um das Suchtmittel, das Leben des Angehörigen dreht sich um den Betroffenen. Nicht selten fühlen sich Angehörige verantwortlich für das Verhalten des abhängigen Menschen. Oft werden sie aber auch von dem Betroffenen dafür verantwortlich gemacht: »Wenn du immer schlecht gelaunt bist, muss ich mich ja betrinken. Wenn ich es dir nicht recht machen kann, dann ziehe ich mich lieber zurück.«
Schamgefühle betreffen meist die ganze »Suchtfamilie«. Wenn Angehörige das Suchtmittel besorgen, gehen sie oft abwechselnd in verschiedene Supermärkte, damit es nicht so auffällt. Möglicherweise verdünnen sie Alkohol oder verstecken Flaschen, um die Situation irgendwie beeinflussen zu können und nicht ganz hilflos zu sein. Der Partner übernimmt mit der Zeit immer mehr Verantwortung für die Familie, der suchtkranke Mensch wird vom Partner zunehmend abhängig, fast wie ein Kind. Irgendwann wird der Betroffene womöglich gar nicht mehr in seiner Erwachsenenrolle miteinbezogen, weil er wie abwesend wirkt.
Die meisten Angehörigen versuchen die Abhängigkeit gegenüber anderen Menschen zu verbergen. Wenn es gelingt, sich Freunden anzuvertrauen, erfahren sie womöglich Bedauern, vielleicht auch Bewunderung, was aber langfristig nicht hilfreich ist.
Info
Was bedeutet der Begriff »co-abhängig«?
Der Begriff der Co-Abhängigkeit soll zum Ausdruck bringen, dass ein co-abhängiger Mensch die Abhängigkeit eines Betroffenen – indirekt und ungewollt – unterstützt. Er hilft nicht dem Betroffenen, sondern er fördert die Sucht, weil er dazu beiträgt, dass sie fortbestehen kann. Er wird sozusagen zum Komplizen der Abhängigkeit, er wird zum Teil der Sucht – also co-abhängig.
Beispiele für co-abhängiges Verhalten
Sie helfen dem Betroffenen nicht, wenn Sie seine Sucht entschuldigen, vertuschen oder kontrollieren!
Bei co-abhängigem Verhalten fallen häufig folgende Merkmale auf:
Übernahme von Verantwortung für den abhängigen Menschen;
Versuch, dem abhängigen Menschen Belastungen abzunehmen oder zu ersparen;
Versuch, das Verhalten des abhängigen Menschen zu entschuldigen;
Versuch, das Konsumverhalten zu kontrollieren: Fernhalten von Konsumanlässen, Aufspüren und Entleeren von Verstecken für das Suchtmittel;
Nichteingestehen oder Herunterreden des Ausmaßes der Abhängigkeit gegenüber sich selbst und anderen (mangelndes Problembewusstsein sich selbst gegenüber);
Verhaltensweisen von abhängigen und co-abhängigen Betroffenen verstärken sich wechselseitig. Je mehr Verantwortung der Co-Abhängige übernimmt, desto schlechter geht es dem Abhängigen;
Zunehmendes eigenes Leiden, reduzierte Lebensqualität und eigener sozialer Rückzug.
Co-Abhängigkeit stellt ein Problem für die co-abhängige Person selbst dar: sie leidet selbst, schränkt ihre Lebensqualität immer weiter ein, entwickelt möglicherweise Symptome einer Depression. Und: Sie möchte dem Süchtigen helfen, die Hilfe läuft aber ins Leere. Noch schlimmer: Die Hilfe kann zum Weiterbestehen der Abhängigkeit beitragen und verfestigt damit die Erkrankung. Aus diesem Grund hat es sich sehr bewährt, bei der Behandlung abhängigkeitskranker Menschen auch immer das
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