Raus aus der Suchtfalle
alkoholabhängige Menschen, dass sie morgens aufwachen und bereits unter Entzugssymptomen leiden. Der morgendliche Alkoholkonsum dient dann insbesondere der Vermeidung und Bekämpfung der Entzugssymptome. Auch dieser Mechanismus mündet wieder in einen Teufelskreis: Alkoholkonsum führt zu Entzugssymptomen, diese erfordern erneuten Alkoholkonsum mit daran anschließender Entzugssymptomatik. Diesen Mechanismus erleben insbesondere sogenannte »Spiegeltrinker«: Betroffene halten durch kontinuierlichen Konsum stets eine gewisse Blutalkoholkonzentration aufrecht, um somit das Auftreten von Entzugssymptomen zu vermeiden.
Gebrauchsspuren im Gehirn
Die Erforschung unseres Gehirns und seiner Funktionsweise hat in der jüngeren Vergangenheit große Fortschritte gemacht. Manche Ergebnisse der Hirnforschung helfen uns, einige wichtige Merkmale von Abhängigkeitserkrankungen besser zu verstehen.
Eine neue Erkenntnis ist, dass das Gehirn sich durch den täglichen »Gebrauch« verändert. Dies lässt sich zunächst gut bei den »einfachen« Wahrnehmungen untersuchen, zum Beispiel dem Tastsinn. Schon seit über 100 Jahren ist recht genau bekannt, welche Region der Körperoberfläche an welchem Ort des Gehirns verarbeitet wird. Wir sprechen hier von den »primären Projektionsarealen«, also den Arealen (Orten) auf der Gehirnrinde, die unmittelbar aktiviert werden, sobald die betreffende Körperregion gereizt wird. Wird das primäre Projektionsareal der Hirnrinde für den Tastsinn genau vermessen, erhält man einen »Homunkulus«, also ein Abbild unserer Körperoberfläche auf der Gehirnrinde.
Die Gehirnareale für unsere Hände und unser Gesicht nehmen den größten Raum im sensorischen (Wahrnehmung) und motorischen (Bewegung) Kortex ein.
Wenn wir den Homunkulus mit der wirklichen Körperoberfläche vergleichen, stellen wir große Unterschiede fest: Im Homunkulus sind solche Körperregionen sehr groß, die häufig benutzt werden und eine große Bedeutung im Alltagsleben haben, also bei den meisten Menschen der Mund, die Hände, die Genitalien.
Unser Gehirn verändert sich mit dem Gebrauch
Der Homunkulus ist, wie schon dargestellt, keine neue Erkenntnis der Hirnforschung, sondern schon recht alt. Neu ist jedoch der Nachweis, dass dieser Homunkulus sich durch Gebrauch, Übung und Gewohnheiten ändert. Es wurden Menschen untersucht, die ihren Tastsinn intensiv trainieren. Das sind zum Beispiel Berufsmusiker. Ein Berufsviolinist übt und spielt sein Instrument an den meisten Tagen mehrere Stunden lang. Dieser Violinist trainiert ganz besonders den Tastsinn an den Fingern, die die Saiten der Geige greifen. Nun zeigte sich, dass die Repräsentation dieser Finger im primären Projektionsareal des Tastsinnes bei Geigespielern umso größer war, je länger dieser Geigespieler bereits Geige spielte. Die trainierten Finger wurden im Homunkulus größer: das Gehirn stellte den trainierten Fingern eine größere Kapazität und somit mehr Nervengewebe zur Verfügung. Vereinfacht können wir somit sagen: Das Gehirn spezialisiert sich auf die häufigen und wichtigen Tätigkeiten.
Info
Plastizität: Unsere Erfahrungen verändern unser Gehirn
Die Tatsache, dass das Gehirn sich durch Erfahrungen und Übung ändert, bezeichnet man als die »Plastizität« des Gehirns. Und diese Plastizität ist das, was in den vergangenen Jahrzehnten für große Überraschung unter den Hirnforschern sorgte. Inzwischen ist diese erfahrungsabhängige oder übungsabhängige Plastizität ein Phänomen, das als wichtiges Prinzip der Funktionsweise unseres Gehirns gesehen wird. Sowohl viele »normale« psychische Vorgänge sind ganz gut über diese Plastizität erklärbar, als auch einige Phänomene von Erkrankungen.
Es gibt keinen bestimmten Ort im Gehirn, an dem das »Suchtgedächtnis« sitzt.
Diese erfahrungsabhängige Veränderung des Gehirns, die Plastizität, ist für den Tastsinn bei Berufsmusikern bewiesen worden. Nach derzeitigem Wissensstand ist es sehr wahrscheinlich,dass auch im Umgang mit Suchtmitteln solche Gebrauchsspuren im Gehirn entstehen, wobei es anders als beim Tastsinn keinen bestimmten Ort im Gehirn gibt, an dem das sogenannte Suchtgedächtnis lokalisiert wäre. Bei der Sucht spielen eben ganz unterschiedliche Sinne, unterschiedliche Gefühle und damit auch ganz unterschiedliche Bereiche des Gehirns eine entscheidende Rolle.
Wie entsteht das Suchtgedächtnis?
Bevor wir diese Frage beantworten, wollen wir uns zunächst anschauen, wie unser
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