Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)
dort um andere Pflanzenarten handelte.
Sie waren gefangen, und wie sie inzwischen herausgefunden hatten, funktionierten auch ihre Handys nicht mehr, sodass es ihnen nicht einmal mehr möglich war, Hilfe herbeizurufen.
Mit einem leisen Stöhnen bewegte Sir Anthony den Kopf, dann schlug er die Augen auf. Für einen Moment wirkte er verwirrt, als wüsste er nicht recht, wo er sich befand, dann glitt ein Ausdruck tiefsten Schreckens über sein Gesicht.
»Hillary«, murmelte er. »Was ist ... O mein Gott!«
Janice half ihm sich aufzusetzen und redete beruhigend auf ihn ein, aber er schien kaum etwas von seiner Umgebung wahrzunehmen. Noch immer war sein Gesicht von Entsetzen verzerrt; sein Blick flackerte unstet.
»Hillary, meine arme Kleine«, murmelte er mit brüchiger Stimme. Seine Hände zitterten.
Die Ereignisse hatten ihm einen schweren Schock versetzt. Alle Energie und Willenskraft schienen aus ihm gewichen zu sein, er wirkte ausgebrannt und leer. Offensichtlich konnte er den grausamen Tod seiner einzigen Tochter nicht verwinden, jedenfalls jetzt noch nicht. Vielleicht würde er sich irgendwann davon erholen, aber es würde Zeit brauchen.
Zeit, die ihnen allen vermutlich nicht mehr blieb, dachte Raven. Und Sir Anthony würde ihnen fortan keine Hilfe mehr sein können. Er seufzte schwer. Es war wirklich eine fantastische Hilfstruppe, die Raven und Janice beim Kampf gegen die dämonische Gefahr zur Seite stand: ein vom Leid zerbrochener Gastgeber, ein Butler, der nicht mehr richtig klar im Kopf war, ein gebrechlicher Greis, der sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, und eine Köchin, die nicht einmal wusste, dass ihnen überhaupt Gefahr drohte.
Verdrossen schüttelte Raven den Kopf. Gegenüber seiner Glanzzeit vor rund zwanzig Jahren, in der er die größten Erfolge im Kampf gegen die Mächte der Finsternis errungen hatte, hatte sich ziemlich viel verändert, und das nicht gerade zum Besseren.
Die Tür wurde geöffnet, und Hives betrat den Salon, allerdings nur er allein, wie Raven besorgt registrierte.
»Es tut mir leid, aber ich konnte Mrs. Baltimore nicht finden«, berichtete er. »Sie ist weder in ihrem Zimmer noch in der Küche.«
»Verdammt!«, fluchte Raven. Er hatte beschlossen, dass sie nach dem schrecklichen Unglück die Haushälterin nicht länger im Ungewissen über die Gefahr lassen durften. Spätestens sobald sie einen Blick aus dem Fenster warf, würde sie das Dickicht ohnehin entdecken, das das gesamte Haus wie die Hecke um Dornröschens Schloss umgab und von der Außenwelt abriegelte. »Hoffentlich ist ihr nicht ebenfalls etwas zugestoßen.«
»Vielleicht ist sie in den Vorratskeller hinuntergestiegen. Soll ich weiter nach ihr suchen?«
Raven wollte schon zustimmen, überlegte es sich dann aber anders. Hives hatte draußen auf dem Hof so gewütet, dass er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, und auch er litt extrem unter Hillarys Tod. Außerdem bereitete der Zustand ihres Gastgebers Raven Sorgen.
»Nein, das werde ich übernehmen«, entschied er. »Bleiben Sie hier und kümmern Sie sich um Sir Anthony, er braucht Sie jetzt am meisten.«
Hives wirkte sichtlich erleichtert. Es war ihm vorher schon unangenehm gewesen, nicht bei Sir Anthony bleiben zu können. »Wenn Sie im Vorratskeller und der Kühlkammer nachsehen wollen, da gibt es einen direkten Zugang von der Küche aus«, teilte er mit.
Raven nickte ihm noch einmal zu, dann verließ er den Raum. Bei seiner Entscheidung war es ihm nicht allein um Sir Anthonys Wohl und die Gefühle des Butlers gegangen, sondern er hatte zugleich der bedrückenden Atmosphäre im Salon entfliehen wollen.
Er wandte sich in Richtung der Küche. Als er sie betrat, fiel ihm direkt das noch ungespülte Geschirr und Besteck auf, das sich neben dem Becken stapelte. Hives mochte in seiner Trauer nicht darauf geachtet haben, aber in Raven ließ der Anblick sofort Alarmglocken klingen. Keine Haushälterin, die etwas auf sich hielt, würde eine Küche in solchem Zustand verlassen.
Es war also nicht anzunehmen, dass sich Mrs. Baltimore bereits auf ihr Zimmer zurückgezogen hatte oder einen Abendspaziergang machte. Wenn ihr etwas zugestoßen war, dann irgendwo hier im Wirtschaftsbereich.
Raven öffnete die Tür zum Keller. Es brannte kein Licht, dennoch stieg er die Stufen hinunter. Die Treppe endete in einem Raum, dessen Wände mit Regalen bedeckt waren, auf denen Konserven und andere Lebensmittel verstaut waren. Eine Stahltür, in die ein
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