Raven - Schattenreiter (6 Romane)
Sekunden schien seine Gestalt zu zerfließen, als wäre die Kraft, die das schwarze Nichts zusammenhielt, plötzlich erloschen, aber dann stabilisierte sie sich wieder, und der Schattenreiter schwang sich mit einer kraftvollen Bewegung aus dem Sattel.
Der Wachmann begriff sofort, was die Erscheinung vorhatte. Mit einem verzweifelten Satz warf er sich herum und griff nach dem Säbel des Unheimlichen. Seine Hand krampfte sich um das kühle, glatte Metall des Griffes, und für eine unendliche Sekunde spürte er das sanfte Pulsieren ungeheurer Kräfte, die in der unscheinbaren Waffe eingeschlossen waren.
Aber er fand keine Zeit, über die seltsame Empfindung nachzudenken. Der Schattenreiter drang auf ihn ein, und obwohl die Gestalt nur aus Schatten und schwarzem, treibendem Nebel zu bestehen schien, spürte der Mann die tödliche Gefahr, die von ihm ausging.
Er kam mühsam auf die Füße, humpelte, sein verwundetes Bein nachziehend, zurück und schlug nach dem Angreifer. Die Spitze des Säbels drang millimeterweit in den wallenden Nebel ein, und der Unheimliche prallte mit einem wütenden Aufschrei zurück. In dem dunklen Nebel erschien eine rote, pulsierende Spur.
Der Wachmann blickte verblüfft auf das Schwert in seiner Hand, dann auf den Schattenreiter, der zurückgewichen war und die Hände vor der Brust verkrampfte.
Und dann beging er die größte Dummheit, die er in dieser Situation begehen konnte. Er schwang den Säbel über dem Kopf und griff den Dämon an.
Der Schattenreiter brachte sich mit einer blitzschnellen Bewegung außer Reichweite des tödlichen Säbels und zog einen schmalen, zweischneidigen Dolch aus dem Gürtel. Seine Hand vollführte eine mit dem bloßen Auge kaum sichtbare Bewegung. Der Dolch sauste als flirrender Lichtblitz durch die Luft und traf den Wächter in die Brust.
Für zehn, fünfzehn Sekunden kehrte Stille in die weitläufige Halle ein, nur unterbrochen vom Prasseln der Flammen und dem leisen, monotonen Wimmern der Alarmsirenen, die durch die Zerstörung der Schaltanlage ausgelöst worden waren. Dann ging der Schattenreiter langsam zu dem Toten hinüber, löste seinen Säbel aus dessen verkrampften Fingern und zog den Dolch aus der Brust des Wächters, ehe er sein Pferd rief und sich ungelenk in den Sattel schwang. Eine Spur glitzernder roter Tropfen markierte seinen Weg, als er das Pferd herumnahm und langsam auf die breite Treppe zutrabte.
In das Prasseln der Flammen mischte sich das Heulen näher kommender Polizeisirenen, als das Pferd die Stufen emporlief.
Aber das störte den Unheimlichen nicht. Es gab jetzt nichts mehr, das ihn noch aufhalten konnte. Er würde sich sein Opfer holen.
Jetzt.
»Fünftausend Pfund!«, sagte Janice. Sie hatte es in der letzten halben Stunde ungefähr fünfunddreißigmal gesagt, aber sie schien es immer noch nicht glauben zu können. Ihr Blick hing wie gebannt auf dem Scheck, den Raven ihr gegeben hatte. »Fünftausend Pfund dafür, dass du einem Verrückten drei Tage lang Gesellschaft leistest!«
Raven zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Noch haben wir das Geld nicht. Der Scheck ist gesperrt, vergiss das nicht! Und wenn Mr. Pendrose vor Montagmorgen irgendetwas zustößt, wird er auch nicht freigegeben.« Er lächelte flüchtig und fuhr fort, Unterwäsche, Bücher und andere Kleinigkeiten in die voluminöse Reisetasche zu stopfen, die Janice ihm gebracht hatte.
»Aber weißt du eigentlich, was das bedeutet?«, rief Janice ihm nach, als er im Bad verschwand, um seine Zahnbürste und Waschzeug zu holen. »Das ist genug, um mit diesem Irrsinn aufzuhören und irgendwo anders ganz neu anzufangen.«
»Dieser Irrsinn, Liebling, ist mein Beruf, vergiss das nicht! Und außerdem« - er kam aus dem Bad, nahm Janice den Scheck aus der Hand und verstaute ihn in seiner Brieftasche - »muss ich mir das Geld erst noch verdienen.« Er sah sich suchend im Zimmer um, eilte schließlich zum Bücherregal und nahm einen alten, in rotes Leder gebundenen Band herunter, der seit Jahren unbeachtet dort oben vor sich hin gegammelt hatte.
»Was hast du da?«, fragte Janice stirnrunzelnd. »Den alten Schinken vom Trödler?«
Raven nickte knapp. Janice hatte das Buch vor Jahren von einem Altwarenhändler für ein paar Penny gekauft. Nicht wegen seines Inhalts, sondern eher wegen seines antiquierten Aussehens. Es war ein Buch über mittelalterliche Magie, Hexenverbrennungen und ähnlichen Schwachsinn, wie sie immer sagte.
»Fängst du jetzt schon an, den Irrsinn
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