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Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze

Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze

Titel: Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Twin
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zu überdecken. Ich schlüpfe hinein und ziehe die
Ärmel über die Schultern. Habe ich eine Wahl? Für die Beantwortung der Frage
bleibt mir keine Zeit. Wo soll ich auch hin? Mit ganzem Herzen bemühe ich mich an
diesem Morgen die gute, brave Tochter zu sein und so zu tun, als ginge es um
einen Abschlussball und nicht um eine Gerichtsverhandlung.
    Ich schließe die zierlichen Metallknöpfe und stelle
mich vor den beschlagenen, verrosteten Spiegel.
    »Arme hoch!«
    Gehorsam hebe ich die Hände, meine Mutter schlingt
ein schwarzes Tuch um meine Taille. Sie zieht den Knoten fest und streicht die
Fransen an den Enden glatt.
    Ich öffne den oberen Knopf meines Kleides. Schon
besser. Dann stecke ich die geflochtenen Haare mit einer großen Holzspange zu
einem Dutt fest und lasse eine dicke kastanienfarbene Locke über meine linke
Schulter fallen. Mum zupft an meiner Frisur, bis ich drei hübsch drapierte
Locken über der Schulter liegen habe. Dann schließt sie den obersten Knopf
meines Kleides.
    »Besser ist es. Denk an Cesare. Er wird über dich urteilen.«
    Jemand poltert an der Tür.
    »Aufmachen!«
    Fragend blicke ich meine Mutter an. Sie ist
erblasst. »Merkwürdig. Ich dachte, wir bringen dich, Kind.«
    »Ist doch egal.«
    »Hoffentlich.«
    Ich öffne die Tür meines
Zimmers und trete in unseren Wohnraum. Zwei Gill-Offiziere stehen neben unserem
Küchentisch. Sie heben die ausgestreckte Hand zur Brust und grüßen mechanisch.
    »Wohnt hier eine Soraya Mistral?« fragt der
größere der beiden Gills. Er hat stechend graue Augen.
    »Das bin ich.«
    »Wir haben Order, Sie zum Gericht zu begleiten.
Sie haben sich schuldig gemacht, die Bewohner der Stadt vorsätzlich in Gefahr
zu bringen.«
    »Ähm, wie bitte? Das ist mein Vergehen?« Beinahe
muss ich laut lachen. Wenn ich jemanden in Gefahr gebracht habe, dann wohl nur
mich selbst. Bis eben dachte ich noch, dass Liberius mich wegen meines
Ungehorsams bestrafen wollte.
    »Ist das alles?«, frage ich.
    Er nickt.
    »Und wozu dann dieser Aufwand hier?«
    Mum zieht mich am Ärmel zurück. »Keine Fragen!
Provoziere sie nicht! Antworte ab sofort nur noch, wenn du gefragt wirst!« Sie
nickt zuversichtlich, aber sie blickt so ernst wie ich sie niemals zuvor in
meinem Leben gesehen habe. Alle Freude ist aus ihrem Gesicht gewichen und unter
ihren farblosen Augen liegen plötzlich dunkle Schatten.
    »Warte noch einen Moment!«, sagt sie und
verschwindet in ihrer Kammer auf der gegenüberliegenden Seite des Wohnraumes.
Ich höre sie in einer Kommode kramen. Dann ist sie zurück.
    »Es soll dir Glück bringen.« Sie legt mir eine
silberne Kette mit einem runden Medaillon um den Hals. Es ist …«, stammelt sie,
»es ist dein Geburtstagsgeschenk. Ich wollte es dir erst in einem Jahr geben.
Nun bekommst du es schon heute.«
    Sie lügt. So gut kenne ich sie. Ich weiß nur
nicht, warum sie es tut.
    »Danke«, hauche ich. Verlegen schiebe ich den
Anhänger unter den Stoff. Ich will nicht, dass die Gills mir in den Ausschnitt
starren.

 
    ***
    Einer der Offiziere geht vor mir. Ich fühle mich
unwohl bei dem Gedanken, dass der andere hinter mir läuft und mir die ganze
Zeit auf den Rücken oder woandershin starrt. Unsicher fasse ich mir an den
Nacken und streiche die sich aufrichtenden Härchen glatt.
    Der unterirdische Gang riecht nach Moder und Nässe.
Das liegt am Grundwasser und am fehlenden Sonnenlicht. Die Kellerwohnungen in
unserer Straße münden – wie überall in der Stadt – in einen schmalen,
gemauerten Graben, der mit Brettern ausgelegt ist, um Matsch und Sickerwasser
fernzuhalten. Über unseren Köpfen ist der Weg mit geteerten Holzbohlen
verschlossen. Faustgroße Löcher im Abstand von zwanzig Zentimetern lassen spärliches
Tageslicht herein. Am Ende der Straße gibt es eine Steintreppe. Sie führt auf
die alte Stadtstraße. Gegenüber erreicht man über eine breite Treppe einen stillgelegten
U-Bahnhof. Im Bahnhofsgelände sind die Zugänge zu den alten Tunnelverbindungen
zugemauert oder abgesperrt. In diesem Teil der Untergrundstadt befinden sich
ein paar Läden und Handwerksbetriebe. Die Familien, denen die Geschäfte gehören,
wohnen dort. Es ist immer laut und zugig in den Untergrundhallen. Sämtliche Geräusche,
die einen bestimmten Lärmpegel überschreiten, haben ein Echo und
merkwürdigerweise bläst immer Wind. Dafür ist es dort trocken und sicher, wenn
man von den Ladendiebstählen und vom Mundraub absieht.
    Der vorangehende Offizier biegt am Treppenaufgang

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