Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm
dem Bett. Ihre Hände sind mit Hanfschnur an die Bettpfosten gebunden. Aus ihren Mündern ragen Zipfel von weißem Baumwollstoff. Auf dem Boden neben dem Bett liegt ein zerrissenes Laken. Das haben sie also im Mund. Sie kann sehen, wie die Brustkörbe der Kinder sich angestrengt heben und senken, um genug Luft in die Nasen zu befördern.
Lova hat einen Schnupfen. Aber sie atmet.
Ganz ruhig jetzt, sie atmet. Verdammt, verdammt!
»Wir hatten vor«, sagt Thomas Söderberg nachdenklich, »wir hatten vor, die Hütte anzuzünden. Und du solltest den Zündschlüssel für dein Schneemobil bekommen und im Nachthemd oder im T-Shirt loslaufen dürfen. Das hättest du natürlich gemacht, wer hätte diese Chance nicht genutzt? Aber bei dem Sturm und der Kälte, die sich beim Schneemobilfahren entwickelt, wärst du wohl höchstens hundert Meter weit gekommen.
Danach wärst du heruntergefallen und erfroren. Für die Polizei wäre es ein einfacher Unglücksfall gewesen. In der Hütte bricht Feuer aus. Du gerätst in Panik, lässt die Kinder im Stich und rennst im Hemd nach draußen. Versuchst, mit dem Schneemobil Hilfe zu holen, und erfrierst schon nach kurzer Zeit. Keine großen Ermittlungen, keine Fragen. Aber jetzt ist es nicht mehr so leicht.«
»Wollt ihr die Kinder verbrennen lassen?«
Thomas nagt nachdenklich an seiner Unterlippe und scheint diese Frage nicht gehört zu haben.
»Ich glaube, wir nehmen dich mit«, sagt er. »Auch wenn dein Leib vielleicht verbrennt, finden sie möglicherweise die Spuren des Messerstichs. Und das kann ich nicht riskieren.«
Er unterbricht sich und schaut sich um, als Vesa Larsson mit einem roten Kunststoffbenzinkanister in der Hand hereinkommt.
»Kein Benzin«, sagt Thomas gereizt. »Keine brennbare Flüssigkeit und keine Chemikalien. Das alles würde durch eine technische Untersuchung zutage gefördert. Wir zünden Vorhänge und Bettwäsche mit Streichhölzern an.«
Er nickt zu Rebecka hinüber.
»Die nehmen wir mit«, sagt er dann. »Ihr beide könnt schon mal eine Plane auf den Schlitten legen.«
Vesa Larsson und Curt verschwinden aus der Hütte. Der Sturm brüllt auf und verstummt dann, als die Tür ins Schloss fällt. Jetzt ist sie mit ihm allein. Ihr Herz hämmert los. Sie muss sich beeilen. Das weiß sie. Sonst wird ihr Körper sie im Stich lassen.
Hat Curt sein Gewehr neben die Tür gestellt? Es ist nicht leicht, bei diesem Sturm mit der Waffe über der Schulter eine schwere Plane auszubreiten. Komm näher, Thomas.
»Ich begreife nicht, wie du das über dich bringst«, sagt Rebecka. »Steht in der Bibel nicht, ›du sollst nicht töten‹?«
Thomas seufzt. Er geht neben ihr in die Hocke.
»Und trotzdem wimmelt es in der Bibel nur so von Szenen, in denen Gott Leben nimmt«, sagt er. »Verstehst du nicht, Rebecka? Er muss Seine eigenen Gesetze brechen. Und ich bringe es nicht über mich. Das habe ich Ihm gesagt. Daraufhin hat Er mir Curt geschickt. Das war mehr als nur ein Zeichen. Ich musste Ihm einfach gehorchen.«
Er verstummt, um sich den aus seiner Nase laufenden Rotz abzuwischen. Sein Gesicht läuft in der Hitze des Kamins rot an. Bestimmt schwitzt er in seinem dicken Overall wie in der Hölle.
»Ich habe nicht das Recht, zuzulassen, dass du Gottes Werk zerstörst. Die Medien würden diese Finanzierungsgeschichte zum Skandal aufblasen, und damit wäre alles zu Ende. Hier in Kiruna sind große Dinge passiert. Und doch hat Gott mir zu verstehen gegeben, dass das nur der Anfang ist.«
»Hat Viktor dich bedroht?«
»Am Ende war er für alle eine Bedrohung. Nicht zuletzt für sich selbst. Aber ich weiß, dass er bei Gott ist.«
»Erzähl mir, was passiert ist.«
Thomas schüttelt ungeduldig den Kopf.
»Dazu haben wir weder Zeit noch Gelegenheit, Rebecka.«
»Und was ist mit den Mädchen?«
»Die können Dinge über ihren Onkel erzählen, die … wir brauchen Viktor noch immer. Sein Name darf nicht in den Schmutz gezogen werden. Weißt du, wie vielen Menschen wir jedes Jahr aus ihrer Drogensucht heraushelfen? Weißt du, wie viele Kinder ihre verlorenen Eltern zurückerhalten? Weißt du, wie viele zum Glauben gelangen? Wieder Arbeit finden? Ein anständiges Leben führen können? Ihre Ehe kitten? In den Nächten hat Gott mit mir immer wieder darüber gesprochen.«
Er verstummt und hält ihr die Hand hin. Lässt die Finger über ihren Mund und dann zu ihrem Hals hinunter wandern.
»Ich habe dich ebenso geliebt, wie ich meine eigene Tochter liebe. Aber du
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