Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm
er ist die ganze Nacht nicht nach Hause gekommen, jedenfalls hat niemand aufgemacht.«
»Mmm«, murmelt Anna-Maria.
Das Unbehagen aus ihrem Traum sitzt ihr noch in den Knochen. Sie wirft einen Blick auf den Radiowecker auf dem Nachttisch. Fünf nach halb fünf. Sie lässt sich ins Bett zurücksinken und lehnt den Rücken an das Kopfende.
»Du bist doch wohl nicht allein hingefahren?«, fragt sie.
»Mecker jetzt nicht rum, Mella, hör lieber zu. Da er also nicht zu Hause war oder nicht aufmachen wollte, was weiß ich, bin ich zur Kristallkirche gefahren, um nachzusehen, ob sie da vielleicht die ganze Nacht irgendein Halleluja veranstalten, aber da war kein Mensch. Dann habe ich die Pastoren angerufen, Thomas Söderberg, Vesa Larsson und Gunnar Isaksson, in genau dieser Reihenfolge. Ich dachte, sie hätten vielleicht einen Überblick über ihre Schäfchen und wüssten, ob dieser Curt Bäckström häufiger anderswo nächtigt als in seiner Wohnung.«
»Ach?«
»Thomas Söderberg und Vesa Larsson waren nicht zu Hause. Ihre Frauen behaupteten, sie seien ganz bestimmt in der Kirche, wegen dieser Konferenz, aber glaub mir, Anna-Maria, in der Kirche war kein Mensch. Ja, sie können natürlich mäuschenstill im Dunkeln gesessen haben, aber das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Pastor Gunnar Isaksson war zu Hause, antwortete nach dem zehnten Klingeln und klang total verschlafen.«
Anna-Maria überlegt kurz. Sie fühlt sich wie benebelt, und ihr ist ein wenig schlecht.
»Ich wüsste ja gern, ob das für eine Hausdurchsuchung ausreicht«, sagt sie. »Es wäre ja wirklich nett, einen Blick in Curt Bäckströms Wohnung zu werfen. Ruf doch mal von Post an und frag ihn.«
Am anderen Ende der Leitung seufzt Sven-Erik.
»Der hat sich doch total auf Sanna Strandgård eingeschossen«, sagt er. »Und wir haben ja wirklich keine Spur von einem Beweis. Aber trotzdem. Ich hab ein richtig übles Gefühl, was diesen Typen angeht. Und deshalb werd ich mich da jetzt umsehen.«
»In seiner Wohnung? Hör doch auf.«
»Ich rufe Bennys Schlüsselnotdienst an. Der stellt keine Fragen, wenn ich sage, dass er die Rechnung nicht an die Polizei schicken soll.«
»Hast du denn völlig den Verstand verloren?«
Anna-Maria stellt die Füße auf den Boden.
»Warte auf mich«, sagt sie. »Robert muss mir den Weg freischaufeln.«
»GANZ RUHIG BLEIBEN, Rebecka«, sagt Vesa Larsson. »Wir wollen nur mit dir reden. Mach jetzt keine Dummheit.«
Ohne sie aus den Augen zu lassen, streckt er die Hand nach unten aus, packt die Türklinke und drückt sie nach unten.
Wir, denkt sie. Wer sind wir?
Dann geht ihr auf, dass er nicht allein gekommen ist. Er wollte sich nur davon überzeugen, dass die Situation unter Kontrolle ist.
Vesa Larsson öffnet die Tür, und zwei weitere Männer kommen herein. Dann fällt die Tür hinter ihnen zu. Sie sind dunkel gekleidet. Nirgends auch nur ein Zentimeter Haut zu sehen. Hasskappen. Schutzbrillen.
Rebecka versucht, aufzustehen, aber ihre Beine wollen ihr nicht gehorchen. Ihr Körper scheint überhaupt nicht mehr zu funktionieren. Ihre Lunge kann keine Luft einziehen. Das Blut, das seit ihrer Geburt durch ihre Adern geflossen ist, stockt. Wie der Fluss nach einem Dammbau. Ihr Magen wird zu einem harten Knoten.
Nein, nein, verdammt!
Der eine der beiden zieht die Mütze ab und schüttelt seine dunklen, glänzenden Locken. Es ist Curt Bäckström. Sein Overall ist schwarz und speckig. An den Füßen trägt er Fahrstiefel mit verstärkten Spitzen. Über seiner Schulter liegt ein Gewehr, ein doppelläufiges Schrotgewehr. Seine Nasenlöcher und seine Pupillen haben sich geweitet, wie bei einem Schlachtross. Rebecka schaut in seine glasigen Augen. Sieht darin das Fieber.
Ganz vorsichtig mit ihm umgehen, denkt sie.
Sie schielt zu den Mädchen hinüber. Die schlafen tief.
Den dritten Mann erkennt sie, noch ehe er Hasskappe und Schutzbrille abgelegt hat. Was spielt es schon für eine Rolle, wie er gekleidet ist, sie würde ihn überall erkennen. Thomas Söderberg. Seine Bewegungen. Die Art, wie er den Raum dominiert.
Sie könnten diesen Auftritt fast einstudiert haben. Curt Bäckström und Vesa Larsson beziehen zu beiden Seiten der Schweinestalltür Posten.
Vesa Larsson schaut an ihr vorbei. Oder vielleicht durch sie hindurch. Er hat denselben Blick wie Eltern von kleinen Kindern im Supermarkt. Die Muskeln unter seiner Gesichtshaut haben aufgegeben. Haben nicht mehr die Kraft, seine Erschöpfung zu
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