Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm
zog die schwere Kirchentür hinter ihnen zu. Sie wanderten durch eine Art Garderobe, die im Halbdunkel zu schlummern schien. Lange Reihen leerer Kleiderbügel klirrten wie ein tonloses Glockenspiel im Luftstrom, mit dem die Kälte von draußen auf die Wärme im Haus stieß. Zwei Schwingtüren führten in die eigentliche Kirche. Sven-Erik wurde unwillkürlich leiser, als sie sie betraten.
»Viktor Strandgårds Schwester hat gegen drei die Wache angerufen. Sie hatte ihn tot aufgefunden und rief aus dem Pfarramt an.«
»Wo ist sie jetzt? Auf der Wache?«
»Nein. Wir haben keine Ahnung. Ich habe auf der Wache Bescheid gesagt, dass sich jemand auf die Suche nach ihr machen muss. Als Tommy und Fredde hergekommen sind, war hier kein Mensch mehr.«
»Was sagt die Technik?«
»Nur ansehen, nicht anfassen.«
Der Leichnam lag mitten vor dem Altar. Anna-Maria blieb ein Stück weit von ihm entfernt stehen.
»Aber was zum Teufel«, rutschte ihr heraus.
»Sag ich doch«, sagte Sven-Erik, der dicht hinter ihr stand.
Anna-Maria zog ein kleines Tonbandgerät aus der Jackentasche. Sie zögerte einen Moment. Sie sprach normalerweise auf Band, statt sich Notizen zu machen. Aber jetzt war sie ja eigentlich nicht einmal im Dienst. Vielleicht sollte sie einfach den Mund halten und nur Sven-Erik Gesellschaft leisten?
Mach jetzt nicht alles so kompliziert, ermahnte sie sich selbst und schaltete das Tonbandgerät ein, ohne ihren Kollegen auch nur anzusehen.
»Es ist fünf Uhr fünfunddreißig«, sagte sie ins Mikrofon. »Es ist der 16. Februar, nein, der 17. ist es jetzt schon. Ich stehe in der Kirche der Kraftquelle und betrachte jemanden, den wir nach unserem bisherigen Wissensstand für Viktor Strandgård halten, allgemein als Paradiesjünger bekannt. Der Tote liegt mitten vor dem Altar. Er scheint mit vielen Stichen getötet worden zu sein, denn er stinkt bestialisch und der Teppich unter dem Leichnam ist durchgeweicht. Bei der Flüssigkeit handelt es sich vermutlich um Blut, aber das ist nicht so leicht zu sagen, da es sich um einen roten Teppich handelt. Seine Kleidung ist ebenfalls blutverschmiert, und die Wunden in seinem Bauch sind kaum zu sehen, aber ich habe den Eindruck, dass ein wenig Gedärm hervorquillt. Dazu kann sich später ein Arzt äußern. Er trägt Jeans und einen Pullover. Seine Schuhsohlen sind trocken, und unter den Schuhen ist der Teppich nicht nass. Die Augen sind ausgestochen worden …«
Anna-Maria unterbrach sich und schaltete das Tonbandgerät aus. Sie ging um den Leichnam herum und beugte sich über dessen Gesicht. Sie hatte schon den alten Spruch über die schöne Leiche loslassen wollen, aber es musste doch Grenzen dafür geben, was sie Sven-Erik gegenüber laut denken durfte. Als sie das Gesicht des Toten sah, fiel ihr König Ödipus ein. Sie hatte in ihrer Schulzeit einen Film davon auf Video gesehen. Damals hatte sie die Szene, in der Ödipus sich die Augen aussticht, nicht weiter berührt, jetzt aber tauchte dieses Bild mit seltsamer Kraft vor ihr auf. Und sie musste schon wieder aufs Klo. Und sie durfte ihr Auto nicht vergessen. Also beeilte sie sich wohl besser ein wenig. Sie schaltete das Tonbandgerät wieder ein.
»Die Augen sind ausgestochen worden, seine langen Haare sind blutig. Offenbar hat er eine Wunde am Hinterkopf. Eine Schnittwunde auf der rechten Halsseite, aber die blutet nicht, und seine Hände fehlen …«
Anna-Maria schaute Sven-Erik fragend an, und der zeigte auf die Stuhlreihen. Sie bückte sich mühsam und musterte aus zusammengekniffenen Augen den Boden zwischen den Stühlen.
»Ach nein, eine Hand liegt drei Meter vom Leichnam entfernt zwischen den Stühlen. Aber wo ist die andere?«
Sven-Erik zuckte mit den Schultern.
»Kein Stuhl ist umgekippt«, sagte Anna-Maria jetzt. »Kein Hinweis auf eine tätliche Auseinandersetzung, oder wie siehst du das, Sven-Erik?«
»Nein«, antwortete Sven-Erik, der ungern auf Band sprach.
»Welcher Techniker hat Fotos gemacht?«, fragte sie.
»Simon Larsson.«
Gut, dachte sie. Dann können wir mit scharfen Aufnahmen rechnen.
»Ansonsten herrscht in der Kirche Ordnung«, sagte sie dann.
»Ich bin zum ersten Mal hier. Hunderte von Lampen aus Milchglas, an den Teilen der Wände, die nicht aus Glasbeton bestehen. Wie hoch mögen die Wände sein? Sicher über zehn Meter. Riesige Dachfenster. Die blauen Stühle stehen in schnurgeraden Reihen da. Wie viele Leute passen hier wohl rein? Zweitausend?«
»Und dann ist da ja auch noch die
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