Rebecka Martinsson 03 - Der schwarze Steg
zurückkehren.
Und am Ende geht Anna-Maria einfach ins Scheinwerferlicht. Mit ihrer SIG-Sauer in der einen Hand tastet sie mit der anderen die Hälse der beiden ab, die da auf dem Boden liegen. Kein Puls.
Mit eingezogenem Kopf macht sie einige Schritte auf den Hummer zu und schaut hinein. Ein Kindersitz. Ein totes kleines Kind. Durch das Gesichtchen geschossen.
Sven-Erik sieht, wie sie sich mit der freien Hand gegen das Autofenster stützt. Ihr Gesicht ist im Scheinwerferlicht des Passat aschgrau. Sie schaut ihm mit einem dermaßen verzweifelten Blick in die Augen, dass sein Herz sich zusammenzieht.
»Was?«, fragt er.
Aber gleich darauf geht ihm auf, dass er keinen Laut herausgebracht hat.
Dann beugt sie sich vor. Ihr ganzer Körper zieht sich zusammen wie in einem schmerzhaften Krampf. Und sie sieht ihn an. Anklagend. Als wäre das hier seine Schuld.
Gleich darauf ist sie verschwunden. Wie ein Fuchs ist sie aus dem Lichtkegel des Passat geschlüpft, und er weiß nicht, was aus ihr geworden ist. Es ist so verdammt schwarz. Dicke Nachtwolken sperren das Mondlicht aus.
Sven-Erik wirft sich ins Auto und schaltet den Motor aus. Alles wird still und schwarz.
Er richtet sich auf und hört Schritte, die auf das Gutshaus zurennen.
»Anna-Maria, zum Teufel«, ruft er hinter ihr her.
Aber er wagt nicht, sehr laut zu rufen.
Er will hinter ihr her. Dann kommt er zur Besinnung.
Er bittet um Verstärkung. Der Teufel soll sie holen! Das Telefongespräch dauert zwei Minuten. Er hat dabei eine Sterbensangst. Angst, irgendwer könnte ihn hören. Irgendwer, der ihm eine Kugel in den Kopf jagt. Er krümmt sich während des Anrufs neben dem Auto zusammen. Versucht zu horchen. Versucht, in der Dunkelheit etwas zu sehen. Entsichert seine Waffe.
Als er das Gespräch beendet hat, rennt er hinter Anna-Maria her. Er versucht in den Hummer zu blicken, um festzustellen, was sie zu ihrer Reaktion veranlasst hat, aber es ist zu dunkel, jetzt, da die Autoscheinwerfer ausgeschaltet sind. Er sieht nichts.
Er bleibt am Straßenrand, als er sich dem Gutshaus nähert, läuft leise durch das Gras. Wenn nur sein Atem nicht so laut wäre wie ein Blasebalg, sonst könnte er vielleicht etwas hören. Er hat solche Angst, dass ihm schlecht wird. Aber was zum Teufel hat er jetzt für eine Wahl? Wo ist sie?
Ester sieht jemanden im Spiegel. Etwas, das ihr selbst ähnelt. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gibt es in uns keinen harten Kern. Der Mensch ist ein Brei aus vibrierenden Saiten. Und die Luft, die uns umgibt, ist ebenfalls ein Brei aus vibrierenden Saiten. Es ist bemerkenswert, dass wir nicht jeden Tag einfach durch Mauern gehen und mit anderen Existenzen verschmelzen.
Sie hat sich überlassen. Wem oder was, kann sie nicht sagen. Sie weiß es nur, in einer tieferen Schicht als dem Verstand. Mit jedem Schritt ist die Abmachung unterschrieben worden. Sie ist in Mauris Mansarde gezogen. Sie hat ihren Körper trainiert. Sie hat sich mit Kohlehydraten voll gestopft. Und jetzt muss der Kopf den Füßen folgen und nicht umgekehrt.
Ihr Kopf darf sich ausruhen, während die Füße die Kellertreppe hinunterjagen.
Zugleich kommen fünf Männer auf das Gutshaus zu. Alle sind schwarz gekleidet. Ihr Anführer ist der, den Ester in Gedanken den Wolf genannt hat. Er und drei von den anderen sind mit kleinen Maschinenpistolen bewaffnet. Der fünfte ist ein Scharfschütze.
Der Scharfschütze legt sich ins Gras und nimmt Sicherheitschef Mikael Wiik aufs Korn. Er müsste sich nicht hinlegen, das Ziel bewegt sich überhaupt nicht.
Mikael Wiik steht auf der Treppe zum Gutshaus und horcht in Richtung Straße. Diddi und seine Frau sind mit dem Wagen losgefahren. Vermutlich sind Diddi und Mauri aneinandergeraten. Das kommt verdammt ungelegen, aber Diddi ist im Moment total unberechenbar.
Er hat gehört, wie der Wagen unten vor dem äußeren Tor angehalten hat und dann der Motor ausgeschaltet wurde. Er fragt sich, warum sie nicht weiterfahren. Vermutlich sitzen sie im Wagen und haben den Streit des Jahrhunderts.
Ich kümmere mich um meine Arbeit, denkt Mikael Wiik. Und das da ist nicht meine Arbeit.
Ich mische mich nicht ein, denkt er. Und ich habe auch nichts damit zu tun. Auch nicht mit Inna. Ich habe Mauri diese Telefonnummer gegeben. Aber egal, was danach passiert ist, ich habe wirklich nichts damit zu tun.
Er hatte Innas Leichnam im Leichenschauhaus von Kiruna gesehen. Es war eine grobe Stichwunde.
Das kann kein Profi gewesen sein, sagt er
Weitere Kostenlose Bücher