Rebecka Martinsson 03 - Der schwarze Steg
Eingreiftruppe hat die Umgebung gesichert und untersucht das Gelände.
Anna-Maria kommt mit Zweigen in den Haaren und Erde im Gesicht auf das Haus zu. Als die Kollegen ihre Waffen auf sie richten, merkt sie nur, wie erschöpft sie ist. Hände hoch, sie nehmen ihr die Pistole ab.
»Sven-Erik?«, fragt sie. »Sven-Erik Stålnacke?«
Ein Polizist hält locker ihren Arm fest, mit einem Griff, der fester werden kann, wenn sie Ärger macht oder Widerstand leistet.
Der Kollege macht ein verlegenes Gesicht. Er scheint in Sven-Eriks Alter zu sein. Aber er ist größer.
»Dem geht es gut, aber du kannst jetzt nicht mit ihm reden«, sagt er. »Leider nicht.«
Sie versteht. Wirklich. Sie hat zwei Menschen erschossen, und Gott weiß, was sonst noch passiert ist. Natürlich muss das erst untersucht werden. Aber sie muss Sven-Erik sehen. Vielleicht vor allem ihretwegen. Sie muss jemanden sehen, den sie gern hat.
Jemanden, der sie gern hat. Sie will nur, dass er sie anlächelt und kurz nickt, als Zeichen dafür, dass alles in Ordnung kommen wird.
»Bitte«, fleht Anna-Maria. »Das war kein Picknick. Ich will nur wissen, dass es ihm gutgeht.«
Der Polizist seufzt und gibt sich geschlagen. Wie könnte er auch Nein sagen?
»Komm mit«, sagt er. »Aber denk dran, kein Austausch von Informationen darüber, was heute Nacht hier geschehen ist.«
Sven-Erik lehnt an einem Streifenwagen. Als er Anna-Maria sieht, wendet er sich ab.
»Sven-Erik«, ruft sie.
Er dreht sich zu ihr um.
Sie hat ihn noch nie so wütend gesehen.
»Du und deine verdammten Einfälle«, ruft er. »Der Teufel soll dich holen, Mella! Wir hätten auf Verstärkung warten müssen. Ich …«
Er ballt die Fäuste und schüttelt sie vor Wut und Frustration.
»Ich kündige«, ruft er.
Und als er das sagt, sieht Anna-Maria gleichzeitig, wie die Kollegen beim Hummer den Mann mit dem Gewehr anleuchten, den Scharfschützen. Er liegt auf dem Boden, jemand hat ihm in den Kopf geschossen.
Aber ich habe doch auf seinen Rücken gezielt, denkt Anna-Maria Mella.
»Ach was«, sagt sie abwesend zu Sven-Erik.
Worauf Sven-Erik sich auf die Motorhaube des Streifenwagens setzt und in Tränen ausbricht. Er denkt an den Kater, an Boxer.
Er denkt an Airi Bylund.
Er denkt, wenn Airi ihren Mann nicht vom Seil geschnitten und den Arzt überredet hätte, über die Todesursache zu lügen, dann wäre Örjan Bylund obduziert worden, und sie hätten eine Mordermittlung eingeleitet, und dann wäre das hier vielleicht nicht passiert. Und dann hätte er keinen Menschen töten müssen.
Und er fragt sich, ob er das alles ertragen und Airi lieben kann. Er weiß es nicht.
Und er weint sich die Seele aus dem Leib.
REBECKA MARTINSSON STEIGT vor dem Hotel Riksgränsen aus dem Wagen. Ihr Magen krampft sich zusammen vor Nervosität.
Es spielt keine Rolle, sagt sie sich. Ich muss das hier tun. Ich habe nichts zu verlieren außer meinem Stolz. Und wenn sie an ihren Stolz denkt, sieht sie einen mitgenommenen, verschlissenen Gegenstand ohne Wert.
Rein mit dir, sagt sie sich.
Volles Rohr in der Bar, als sie die Tür öffnet, hört sie eine Coverband mit einem alten Stück von Police.
Sie bleibt in der Rezeption stehen und ruft Maria Taube an. Wenn sie Glück hat, dann hat Maria einen neuen Typen an der Angel und lässt ihr Mobiltelefon keine Sekunde aus den Augen.
Sie hat Glück. Maria Taube meldet sich.
»Ich bin’s, Rebecka.«
Ihre Stimme ist ein wenig atemlos vor Nervosität, aber auch darauf kann sie keine Rücksicht nehmen.
»Kannst du Måns suchen und ihn bitten, in die Rezeption zu kommen?«
»Ach was«, sagt Maria. »Bist du hier?«
»Ja, ich bin hier. Aber ich will niemanden sehen, nur ihn. Sag ihm bitte Bescheid.«
»Okay«, sagt Maria zögernd und sieht zugleich ein, dass sie etwas übersehen hat, irgendetwas hat sie nicht begriffen. »Ich such ihn sofort.«
Zwei Minuten vergehen.
Wenn nur sonst niemand kommt, denkt Rebecka.
Sie muss pinkeln, sie hätte zuerst auf die Toilette gehen sollen. Und sie hat schrecklichen Durst, wie soll sie reden können, wenn ihre Zunge an ihrem Gaumen klebt?
Sie sieht sich im Spiegel und entdeckt zu ihrem Entsetzen, dass sie die alte Nylonjacke ihrer Großmutter trägt. Sie sieht aus wie eine, die im Wald wohnt und ökologischen Landbau betreibt und sich mit allen Behörden anlegt und verlassene Katzen adoptiert.
Fast gibt sie dem Impuls nach, zum Auto zu stürzen und zu verschwinden, aber da klingelt das Telefon. Es ist Maria Taube.
»Er
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