Rebecka Martinsson 04 - Bis dein Zorn sich legt
bleibt stehen und sieht sich um.
Ich schaff das nicht, denkt sie.
Jetzt ist er noch zehn Meter von ihr entfernt. Sie schließt die Augen.
Sie denkt an ihre Großmutter. Dass sie immer ein wenig nach Scheune und Tabak gerochen hat. Dass sie in aller Frühe aufstand und im Herd Feuer machte. Rebecka trank Tee mit Milch und Honig und aß Käsebrote. Die Großmutter trank Kaffee und rauchte ihre selbst gedrehten Zigaretten. Rebecka denkt an ihren Vater. Er und die Großmutter und Rebecka sitzen oben bei der Großmutter und putzen Preiselbeeren. Alle mit ihrem eigenen Tablett. Unter der einen Kante des Tabletts liegt eine zusammengefaltete Zeitung. Das Geräusch der harten Beeren, die über das Tablett auf die Seite für die sauberen rollen. Sie zupfen Zweige und Blätter und Schwarze Krähenbeeren ab und fahren mit der Hand so über die Beeren, dass die über das Brett kullern. Rebecka findet Spinnen und anderes Getier, das gerettet und aus dem Haus gebracht werden muss.
Dann hört sie das Geräusch des Schneemobils, das durch das Eis bricht. Des Eises, das knirschend birst. Des Motors, der unter dem Wasser blubbert und am Ende verstummt. Sie hört Tores Schrei.
Als sie die Augen öffnet, ragt nur die Heckpartie des Schneemobils aus dem Wasser. Es sinkt rasch. Und dann sind Schneemobil und Tore verschwunden. Keine Spur ist mehr von ihnen zu sehen. Das Eis klirrt und singt, als ob im Wasser Weingläser trieben. Bald ist das Loch nicht mehr zu sehen. Eine dicke Schneeschicht legt sich an der Stelle, wo Tore eingebrochen ist, über das Wasser. Das Eis wiegt sich. Eine dicke Woge des Entsetzens durchjagt Rebecka.
Dann merkt sie, wie das Eis unter ihren Füßen zu sinken beginnt. Es ist wie eine Hängematte. Sie sinkt und sinkt. Das Eis bricht nicht, aber voller Angst sieht sie, wie die Senke, in der sie steht, sich ziemlich rasch mit Wasser füllt. Das Wasser reicht ihr bis zu den Knöcheln, bis zu den Knien.
Tintin kommt über das Eis gerannt.
»Geh weg!«, ruft Rebecka. »Nimm dich in Acht! Verschwinde!«
Aber der Hund kommt immer näher.
Aus dem Fenster sieht Hjalmar seinen Bruder durch das schneebedeckte Eis verschwinden. Dann sieht er, wie sich der Hund zur Fahrspur durchkämpft und hineinklettert. Er rennt auf Rebecka zu.
»Großer Gott«, sagt Hjalmar und meint es wirklich als Gebet.
Rebecka steht wie angefroren mitten auf dem Eis. Sie brüllt Tintin an und versucht, sie zur Umkehr zu bewegen. Dann sinkt sie ein. Sie hat das Gefühl, mitten in einer Schüssel zu stehen.
Und nun birst das Eis unter ihren Füßen. Hjalmar sieht, wie sie mit den Armen fuchtelt. Eine Sekunde darauf ist sie verschwunden.
Ich drehe Kreise über dem Fluss. Ich und drei Raben. Immer rundherum. Ich sehe Hjalmar Krekula aus der Hütte kommen. Sorgfältig schließt er die Tür hinter sich, damit Vera nicht weglaufen kann. Dann rennt er los. Schnell geht das nicht. Er läuft in Tores Fahrspur. Aber die Spur ist nicht gefroren, sondern noch weich und matschig. Als Hjalmar das Flussufer erreicht, versinkt er bis zum Bauch im Schnee.
Er steckt fest. Kommt nicht wieder hoch. Kämpft vergeblich und hat dabei das Gefühl, in Beton eingegossen zu sein.
»Rebecka«, ruft er. »Rebecka. Ich stecke im Schnee fest!«
Ich krächze mit den Raben. Wir landen im Baum. Durchschneiden die Luft mit unseren laut schnarrenden, Unheil verkündenden Rufen.
Das Eis sinkt. Das Wasser steigt. Rebecka wird nass.
Sie steht bis zu den Knien im Wasser. Dann hört sie, wie die Eisrinde in der alten Fahrrinne birst. Gleich darauf schließt sich das kalte Wasser um sie.
Schnee und Eis brechen über sie herein. Sie tastet nach der Kante, nach etwas, woran sie sich festhalten kann. Sie hört Hjalmar ihren Namen rufen. Er ruft, dass er im Schnee feststeckt.
Das Eis ist dick, sicher einen halben Meter, aber es ist locker, es zerfällt ganz einfach. Sie liegt in einer Suppe aus Eis und Schnee. Als sie versucht, die Eiskante zu fassen, bricht die ab und fällt in großen Brocken auf sie.
Tintin rennt zum Loch im Eis.
Hjalmar kann Rebecka nicht sehen. Die Kante des Eislochs ist so hoch. Aber er sieht den Hund.
»Der Hund!«, ruft er. »Der Hund ist unterwegs zu dir!«
Und dann sieht er, wie der Hund ins Loch stürzt. Die Ränder haben nicht gehalten.
Er hört Rebecka rufen.
»Verdammt!«, schreit sie.
Der Hund heult wie besessen. Fiept in Todesangst. Dann verstummt er. Ist vollauf mit dem Überlebenskampf beschäftigt. Er schwimmt in Panik umher und kratzt
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