Rebecka Martinsson 04 - Bis dein Zorn sich legt
krächzen oben im Baum.
Dann spürt sie die Panik, als ihr das Wasser über den Mund steigt, über die Nase.
Und gleich darauf liegt sie unter dem Eis. Das ist von unten scharf und rau. Hilflos gleitet sie mit der Strömung durch das schwarze Wasser. Sie wird umhergewirbelt, ihr Hinterkopf schlägt gegen das Eis oder vielleicht gegen einen Stein. Sie weiß es nicht. Alles ist schwarz. Bum, bum.
Anna-Maria Mella, Sven-Erik Stålnacke, Fred Olsson und Tommy Rantakyrö steigen dort, wo die Autos von Hjalmar und Rebecka stehen, aus Anna-Marias Ford Escort.
»Ich habe kein gutes Gefühl«, sagt Sven-Erik und späht zum Wald hinüber, wo aus einer Hütte ein dünner Rauchfaden zum Himmel hochsteigt.
»Ich auch«, sagt Anna-Maria ernst.
Sie hat sich bewaffnet. Das haben die Kollegen ebenfalls.
Dann hören sie jemanden schreien. Es klingt in der Stille ganz entsetzlich. Es ist ein Schrei, der kein Ende nehmen will. Er ist unmenschlich.
Die Polizisten sehen einander an. Niemand bringt ein Wort heraus.
Plötzlich hören sie eine Männerstimme rufen: »Ruhe jetzt! Hör mit dem Geschrei auf!«
Den Rest hören sie nicht. Denn jetzt rennen sie durch die alte Fahrspur. Tommy Rantakyrö, der Jüngste, vorneweg.
Rebecka gleitet unter das Eis. Keine Luft. Vergeblich kratzt sie an der Eisdecke.
Die Kälte droht, ihren Kopf bersten zu lassen. Ihre Lunge wird gesprengt.
Dann schlägt sie mit Knien und Rücken gleichzeitig an. Sie steckt fest. Sie steckt auf allen vieren fest. Die Strömung hat sie bis ans Ufer getrieben. Sie steht auf Knien und Händen auf eiskalten Steinen und hat Eis über dem Rücken.
Sie kann die Füße ein wenig anziehen, bis sie auf der Höhe ihres Bauchnabels sind. Und dann stemmt sie sich aus aller Kraft mit den Beinen ab.
Und das Eis über ihr gibt nach. Es ist hier beim Ufer dünn und brüchig geworden. Sie durchstößt es und richtet sich gerade auf. Ihre Lunge saugt Luft in sich auf. Und dann schreit Rebecka einfach los. Brüllt und brüllt.
Hjalmar hört abrupt mit Singen auf und mustert schockiert Rebecka, deren Oberkörper wie eine Pflanze aus dem Eis geschossen ist.
Sie schreit, bis ihre Stimme bricht.
»Ruhe jetzt!«, ruft er am Ende. »Hör mit dem Geschrei auf! Komm und hol den Hund.«
Tintin liegt wie leblos neben ihm.
Und jetzt fängt Rebecka an zu weinen. Sie watet durch das brüchige Eis an Land und weint laut und schluchzend. Aber Hjalmar fängt an zu lachen. Er lacht, bis sein Bauch wehtut. Er hat seit Jahren nicht gelacht, vielleicht irgendwann einmal, wenn im Fernsehen etwas Lustiges gesendet wurde. Er bekommt kaum noch Luft.
Rebecka geht zur Hütte, um einen Spaten zu holen. Unterwegs erbricht sie sich zweimal.
Als Anna-Maria Mella und ihre Kollegen die Hütte erreichen, sehen sie Rebecka Martinsson und Hjalmar Krekula unten am Flussufer. Hjalmar ist in den Schnee eingesunken, nur sein Oberkörper ist zu sehen. Rebecka schippt den Schnee weg, der ihn umgibt. Ihre Kleider sind triefnass, ihre Haare ebenfalls. Ihr Mantel liegt auf dem Boden. Aus einer Wunde in ihrem Kopf strömt Blut. Ihre Hände bluten ebenfalls, aber das scheint Rebecka nicht zu bemerken. Sie schippt mit verbissener Wut. Hjalmar singt jetzt wieder. Jetzt kommt »Ich sehne mich nach Jesu Blut, es macht all meine Sünden gut, halleluja«. Der Schnee stiebt nach allen Seiten auf.
Vorsichtig nähern sich die Polizisten. Tommy Rantakyrö und Fred Olsson stecken ihre Pistolen ein.
»Was ist passiert?«, fragt Anna-Maria Mella.
Aber weder Hjalmar noch Rebecka geben eine Antwort.
Hjalmar hält Tintin fest und singt. Tintin ist ebenfalls durchweicht. Sie liegt auf dem Schnee. Hebt den Kopf und schlägt einmal mit dem Schwanz.
»Rebecka«, sagt Anna-Maria. »Rebecka.«
Als sie keine Antwort bekommt, geht sie hin und greift nach dem Spaten.
»Du musst in die Hütte gehen …«, beginnt sie, mehr kann sie aber nicht sagen.
Rebecka reißt den Spaten an sich und schlägt Anna-Maria damit auf den Kopf. Dann lässt sie ihn fallen und sinkt rückwärts in den Schnee.
Rebecka Martinsson sitzt in Hjalmar Krekulas Hütte auf einem Küchenstuhl. Jemand hat sie ausgezogen und in eine Decke gewickelt. Das Feuer im Kamin brennt munter. Sie hat eine Uniformjacke um die Schultern gelegt. Ihr ganzer Körper vibriert vor Kälte. Sie hüpft geradezu auf dem Stuhl auf und ab. Ihre Zähne klappern, schlagen gegeneinander. Ihre Hände und Füße schmerzen, ihre Oberschenkel und ihr Hinterteil. In ihrem Kopf dreht sich ein
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