Rebecka Martinsson 04 - Bis dein Zorn sich legt
Stimmen und Rückenschmerzen.
Sivving lief, so schnell er konnte, über den Gang an den Zimmertüren vorbei. Auch ihn schien der Widerwille zu jagen.
»Der, den wir hier besuchen wollen, heißt Karl-Åke Pantzare«, sagte Sivving leise. »Mein Vetter hat ihn gekannt. Früher waren sie viel zusammen. Ich weiß, dass er während der Kriegsjahre zu einer Widerstandsgruppe gehört hat, ich weiß, dass mein Vetter auch dabei war, aber der ist jetzt ja tot. Und man hat nicht über solche Dinge gesprochen. Er wohnt hier.«
Er blieb vor einer Tür stehen. Ein Bild eines älteren Mannes und ein Schild, das verkündete: »Hier wohnt Karl-Åke.«
»Warte einen Moment«, sagte Sivving und griff nach der Stange, die an der Wand angebracht war, damit die Alten, die aufrecht stehen konnten, sich irgendwo festhalten konnten. »Ich muss erst wieder zu Atem kommen.«
Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und schnaufte.
»Das macht mich einfach fertig«, sagte er zu Rebecka. »Verdammt. Und dabei ist das hier sogar ein gutes Heim. Die Mädchen, die hier arbeiten, sind alle richtig nett, es gibt Heime, die viel schlimmer sind. Aber trotzdem! Soll das jetzt das sein, was einen erwartet? Versprich mir, dass du mich vorher erschießt. Ja, wenn du entschuldigst.«
»Ist schon okay«, sagte Rebecka.
»Ich vergesse das immer wieder, weißt du. Dass du wirklich jemanden erschießen musstest … ach, das ist, wie im Haus des Gehängten vom Strick zu sprechen.«
»Du brauchst nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen, ich verstehe auch so.«
»Das macht mich nur so fertig«, sagte Sivving. »Du verstehst sicher, dass ich an das hier denke, auch wenn ich das gar nicht will. Jetzt, wo das mit meinem Arm passiert ist und so.«
Er nickte zu seiner lahmen Seite hinüber. Dem Arm, der schlaff herabhing. Der Seite, auf deren Hand kein Verlass war, sondern die immer alles fallen ließ.
»Solange ich kann …«, begann Rebecka.
»Ich weiß, ich weiß.«
Sivving schwenkte abwehrend die Hand.
»Und warum müssen solche Häuser immer so fesche Namen haben?«, fauchte er dann. »Berghof, Sonnenhang, Rosengarten?«
Rebecka lachte auf.
»Lichtung«, ergänzte sie.
»Klingt wie eine Postille der Baptisten. Jetzt gehen wir rein. Ich muss dir aber sagen, dass sein Kurzzeitgedächtnis nicht mehr so toll funktioniert. Aber lass dich nicht täuschen, wenn er ein wenig verwirrt klingt. An seinem Langzeitgedächtnis ist nichts auszusetzen.«
Er klopfte an, und sie gingen hinein.
Karl-Åke Pantzare hatte weiße, ordentlich zurückgekämmte Haare. Seine Augenbrauen und seine Koteletten waren buschig und wiesen greisenhafte grobe und borstige Haare auf. Er trug Hemd, Pullunder und Schlips. Seine Hose war tadellos sauber und hatte Bügelfalten. Irgendwann einmal hatte er zweifellos sehr gut ausgesehen. Rebecka sah seine Hände an, seine Nägel waren sauber und kurz geschnitten.
Er reichte ihr und Sivving freundlich und munter die Hand. Ganz unten in seinem freundlichen Blick huschte etwas Ängstliches umher. War er diesen Menschen schon einmal begegnet? Hätte er sie erkennen müssen?
Sivving beeilte sich, dieser Unsicherheit ein Ende zu machen.
»Sivving Fjällborg«, sagte er. »Aus Kurravaara. Als kleiner Junge hieß ich Erik. Arvid Fjällborg ist mein Vetter. Genauer gesagt, das war er. Er ist ja schon seit vielen Jahren tot. Und das hier ist Rebecka Martinsson. Die Enkelin von Albert und Theresia Martinsson. Sie kommt ebenfalls aus Kurravaara. Aber ihr seid euch noch nie begegnet.«
Karl-Åke Pantzare wirkte sofort entspannter.
»Erik Fjällborg«, sagte er erfreut. »Natürlich kann man sich an dich erinnern. Aber du, du bist ja vielleicht alt geworden.«
Er zwinkerte, um zu zeigen, dass er scherzte.
»Pah«, sagte Sivving aufgesetzt beleidigt. »Noch immer ein Jüngling.«
»Sicher doch«, sagte Karl-Åke Pantzare feixend. »Jüngling, das war einmal.«
Sivving und Rebecka nahmen das Angebot von Kaffee dankend an, und Sivving erinnerte Karl-Åke Pantzare an eine dramatische Angeltour, die Sivvings Vetter und Karl-Åke auf dem zugefrorenen Jiekajaure unternommen hatten.
»Und Arvid hat immer erzählt, wie ihr mit dem Fahrrad in die Stadt gefahren seid, wenn samstags Tanz war. Er sagte, die dreizehn Kilometer von Kurra in die Stadt seien ja nichts gewesen, aber wenn man ein Mädel aus Kaalasluspa traf, dann fuhr man ja zuerst mit ihr in ihre Richtung, und dann hatte man wirklich einen langen Heimweg. Und er musste ja auf jeden Fall
Weitere Kostenlose Bücher